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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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dafür im kommenden Jahr erhalten.
    Am letzten Tage des alten Jahres fasteten die Bewohner von Makor. Noch vor Anbruch des Neujahrstages aber begaben sie sich zur Westseite des Tempels. Ein sonst nie benutztes Tor wurde dort aufgestoßen, danach eine ihm gegenüberliegende Tür auf der östlichen    Seite,    so daß die andächtig Versammelten
    von West nach Ost    durch    die    leere    Halle blicken konnten -
    beim Bau des Tempels hatten die Priester sorgfältig berechnet, daß am Morgen der Tag- und Nachtgleiche zu Wintersausgang, zu Beginn des neuen Jahres, die Strahlen der Sonne genau mitten durch den Tempel fallen konnten, ohne auf eine Mauer zu treffen. Während die Männer und Frauen von Makor ehrfürchtig ihre Bittgebete zum Baal der Sonne flüsterten, er möge die Stadt auch im neuen Jahre beschützen, stieg die Sonne herauf. Ungehindert fielen ihre Strahlen durch die Tempeltore: Das Jahr begann verheißungsvoll.
    Während die Menge Preislieder sang, wurden die Tore wieder geschlossen, bis zum nächsten Jahreswechsel. Vom westlichen Tempeltor zogen die Menschen nun zu den Monolithen, in deren Nähe die Priester ihren Kriegsgott Melak geschleppt hatten. Schon war das Feuer unter ihm entzündet. Die Menge jubelte, die Trommeln rasten: Ein dreijähriger Knabe, blondhaarig und schön wie der im Olivenhain nach Bienen jagende gelbe Vogel, wurde auf die steinernen Arme geschleudert und rollte in den glühenden Rachen.
    Urbaal starrte erschüttert auf die grausige Opferhandlung. Er zitterte - Timna wußte, warum: Als beim Brandopfer des Erntedankfestes seinem eigenen Sohn dasselbe geschehen war, hatte er das Furchtbare gar nicht begriffen: Denn seine Gedanken waren allzusehr nur auf den bevorstehenden Tanz der Libamah gerichtet gewesen, und die dann folgenden sieben Tage im Tempel hatten alle Erinnerungen nahezu ausgelöscht, so daß er schließlich in seiner Geistesverwirrung den Knaben auch zu Hause kaum vermißt hatte. Jetzt endlich begriff er das Entsetzliche.
    Timna ahnte Unheil. Sie spürte: Urbaals Genesung war gefährdet. Deshalb wollte sie ihn nach Hause führen. Aber Matred widersprach schroff: »Die Priester würden dich streng bestrafen«, sagte sie warnend. So blieb Timna wider bessere Einsicht mit Urbaal auf dem Platz vor dem Tempel. Und als er wegen seines Sohnes zu weinen begann, legte sie seine Hand auf ihren schwellenden Leib und tröstete ihn. Sein Zittern ließ nach, denn nie war es der Tod, der die Menschen verdarb. Timna wußte es.
    Die Priester befahlen Gesang. Die Trommeln dröhnten, die Hörner erklangen. Eine Tür öffnete sich. Und nun erschien Libamah, jetzt nur noch eine gewöhnliche Tempeldirne, aber immer noch schön, selbst in dem Gewand, das ihren schlanken Körper betonte. Langsam und feierlich nahmen die Priester ihr die Kleider ab. Nackt stand sie da, mit der ganzen Macht der Verlockung, die Urbaal sieben Tage und Nächte lang kennengelernt hatte. Sie war noch viel erregender, als er sie in seiner Erinnerung behalten hatte, noch schöner, viel schöner als alle Bilder Astartes. Dieses junge Weib, das einem Mann unvergeßliche Wonnen schenken konnte, war das Leben, war die Lust selbst.
    Diese Wirkung auf Urbaal hatte selbst Timna nicht vorausgesehen. Er zitterte nicht mehr. Er wußte nicht mehr, was geschehen war. Jung fühlte er sich, so jung in seiner besinnungslosen Erregung. Nur noch Libamah sah er, als tanze sie für ihn allein. Er entriß Timna seine Hand und richtete sich hoch auf, als habe er Aussicht, daß die Priester ihn auch heute bestimmten, Libamah beizuliegen und die Fruchtbarkeit für das kommende Jahr zu sichern. Nach vorn drängte er, den Bauch eingezogen, damit er jünger aussah, den Kopf lächelnd zurückgeworfen, damit die Priester auf ihn aufmerksam wurden. Immer aber suchten seine Augen das Mädchen auf den Stufen - nur noch eines wollte er: nochmals den wogenden Rausch, den er mit Libamah im Dienst der Astarte erlebt hatte. »Der arme, törichte Mann«, flüsterte Timna, als sie ihm nachging, um bei ihm zu sein und ihn trösten zu können, wenn die Priester einen anderen aufriefen. Doch als sie bei dem verzückt lächelnden Mann war, begann Libamah mit dem erschreckend sinnlichen Schluß ihres Tanzes. Urbaal, der nun auch die letzte Beherrschung verloren hatte, drängte zu den Stufen vor. Timna sah seine Lippen die verzweifelte Bitte formen: »Astarte, laß mich der Mann sein.«
    Die Trommeln verstummten. Libamah beendete ihren Tanz

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