Die Quelle
mit gespreizten Beinen; ihre Augen warteten auf den Mann, den sie als nächsten Geliebten zu begrüßen hatte. Die Priester riefen: »Der Mann ist - Amalek!« Der Viehzüchter sprang die Stufen empor und ließ sich die Kleider vom Körper reißen. »Nein!« schrie Urbaal und rannte stolpernd zum Tempel. Einem der Wächter riß er die Waffe aus der Hand, und als Amalek vortrat, um die Priesterin zu fordern, stieß Urbaal ihm den Speer in den Rücken.
Amalek taumelte, versuchte sich aufrecht zu halten und sank um. Libamah sah Urbaal mit stierem Blick und bebenden Händen auf sich zukommen und schrie auf. Dieser Schrei der Abwehr ließ Urbaal stocken. Ehe auch nur einer ihn aufhalten konnte, war er die Treppen hinabgewankt und stürzte mit wild aufgerissenen Augen zum Stadttor.
Es war, als hätten die Priester das Schreckliche vorausgesehen. Im Nu waren sie Herren der Lage. »Ruhe«, donnerten sie, nachdem der Hohepriester Amaleks Tod festgestellt hatte. Und immer noch stand Libamah wartend da als Astartes irdische Verkörperung. Astarte aber durfte man nicht warten lassen, sonst ging Makor einer Hungersnot entgegen. Nicht einmal der Tod durfte unterbrechen, was das Leben forderte. Ein Priester rief: »Der Mann ist Heth.« Der bärtige Hethiter eilte sofort die Stufen hinauf, warf selbst seine Kleider ab, und mit einer nach dem, was soeben geschehen war, erstaunlichen Männlichkeit stieg er über den toten Amalek hinweg und trug Libamah ins Liebesgemach. Trommeln wirbelten, das heilige Tor wurde geschlossen. Astarte hatte bekommen, was ihr zustand. Urbaal war durch das Tor entkommen. Blindlings rannte er zu seinem Hain und irrte taumelnd zwischen den Ölbäumen umher. Warum war er hier? Was hatte er getan? Dumpf nur wurde ihm bewußt, daß er einen Menschen getötet hatte. Fassungslos rannte er weiter, fort von seinen Bäumen. Nach Damaskus wollte er fliehen. Schwankend machte er sich auf den Weg nach Osten. Er hatte erst eine kurze Strecke zurückgelegt, als ihm ein Fremder entgegenkam, der ganz anders aussah als alle Männer, die ihm je begegnet waren. Dieser Fremde war kleiner als er, schlank und mager. Seine Augen waren blau, dunkel sein Haar und sein Bart. Man merkte ihm Lebenstüchtigkeit und Mut an, aber er ging nicht wie einer, der Händel sucht. Esel, Schafe und Ziegen folgten ihm, viele Kinder, zahlreiche Weiber und jüngere Männer. Der Fremde trug schwere Sandalen mit Riemen, die bis zu seinen Knöcheln reichten, und einen wollenen, über einer Schulter befestigten Umhang, der die andere Schulter freiließ; dieser Umhang war gelb und hatte ein Muster von roten Halbmonden.
Es war Joktan, ein Nomade der Wüste, jetzt auf dem Weg in fruchtbareres Land, wo er versuchen wollte, sich niederzulassen - Joktan, der erste Habiru, der Makor sehen sollte zu einer Zeit, da die großen Reiche im Land der Zwei Ströme und in Ägypten schon zerbröckelten. Jahrtausende später haben die Gelehrten sich darüber gestritten, ob er der erste des Volkes der Hebräer gewesen sei. Doch was hätte solch ein Streit einen Mann wie Joktan berührt? Er kam spät zum Brunnen von Makor, zweitausend Jahre etwa, nachdem die erste Stadt auf dem Fels entstanden war. Aber er kam im Besitz einer großen Kraft - nicht einer Kraft des Körperlichen, die Krieg wollte, sondern einer geistigen Kraft, die sich nicht abweisen lassen sollte. Überrascht über das plötzliche Erscheinen des Mannes mit den vielen Tieren blieb Urbaal mitten auf der Straße stehen. Einige Augenblicke schwiegen die beiden Männer - es war ihnen anzusehen, daß keiner den andern fürchtete. Urbaal, der sich wieder gefaßt hatte, wenn er auch noch immer nicht wußte, wen er getötet hatte, war bereit, wenn nötig zu kämpfen. Doch der Fremde wollte nicht kämpfen, und so sprach Urbaal als erster: »Woher kommst du?«
»Aus der Wüste.«
»Wohin gehst du?«
»Zum Feld bei den Steineichen. Dort schlage ich meine Zelte auf.« Da wurde Urbaal wieder der mißtrauische Bauer, der er war. Zwar wußte er, daß durch den Mord sein Recht auf den Boden verfallen war, aber er verhielt sich doch so, wie es jeder Bauer in solchem Fall tut: »Das Feld gehört mir.« Schon wollte er den Fremden fortweisen, da fiel ihm ein, in wie gefährdeter Lage er sich befand und wie notwendig es war, ein Versteck zu finden. »Du magst bei den Steineichen bleiben«, sagte er.
Als die Zelte aufgeschlagen waren und der Habiru merkte, daß Urbaal nicht beabsichtigte, das Lager zu verlassen, wunderte
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