Die Quelle
anderen, bevor du überhaupt daran denkst, irgendetwas zu tun. Denk immer daran, der andere steht auch unter furchtbarem Druck, der ihn zu Kurzschlussreaktionen verleiten könnte.
Benn saß mit leicht gesenktem Kopf da, öffnete die Augen wieder und beobachtete den Mann aus den Augenwinkeln.
Das pechschwarze Haar des Angreifers war kurz geschnitten, und die dunklen Augen wieselten unentwegt hin und her. Eine Wunde, die Benn als Brandwunde deutete, verunstaltete seine rechte Wange.
Der Beifahrer bewegte sich, hob unbedacht die rechte Hand zum Kopf und kratzte sich hektisch am Ohr.
»Hände unten lassen!« Der Waffenlauf zeigte weiter auf seinen Kopf.
Der Polizist zuckte zusammen, als sei ihm erst bei den Worten des Angreifers bewusst geworden, dass seine reflexartige Handbewegung auch andere Folgen hätte haben können.
»Langsam runternehmen, auf den Oberschenkel legen!«
Der Polizist folgte der Anweisung des Angreifers, der den Lauf der Waffe ganz ruhig hielt.
Er hält die Waffe in den Händen, als ob er das ständig tut, dachte Benn. Die Handfläche der Linken lag unter dem Lauf, stützte ihn, konnte mit der kleinsten Bewegung das Schwenken der Waffe unterstützen. Und die rechte Hand hielt den Kolben fest umschlossen, den Zeigefinger locker und leicht gekrümmt am Abzug, dicht vor dem Druckpunkt.
Trotz der spannungsgeladenen Situation schien der Angreifer sich und seine Bewegungen genau kontrollieren und gefährliche von harmlosen Bewegungen unterscheiden zu können.
Das kann man nur, wenn man darin Erfahrung hat. Ein Profi, dachte Benn. Da stand nicht bloß irgendein Schläger, der mit einer Waffe herumfuchtelte.
Der Angreifer sah kurz über das Wagendach zum zweiten Fahrzeug, als von dort ein kurzer Ruf erscholl, dann beugte er sich wieder herab.
»Bleibt ruhig, dann passiert euch nichts! Bleibt nur still sitzen!«
Erst jetzt bemerkte Benn den eigenwilligen Klang der Stimme. Sie hatte einen seltsamen Tonfall oder auch Dialekt, den Benn nicht einordnen konnte. Vielleicht war es auch eine Mischung aus beidem.
Es knallte. Benn rührte sich nicht, unterdrückte den Drang, nach der Quelle des Geräuschs Ausschau zu halten.
Er hielt den Kopf einfach weiter gesenkt und sah kurz danach aus den Augenwinkeln eine Gestalt neben seiner Seite des Wagens, die sich in Richtung des zweiten Wagens drehte.
Unmittelbar vor Benns Seitenfenster tauchten ein ausgestreckter Arm und der Lauf einer Pistole auf, die schräg nach unten gerichtet war. Der Arm ruckte plötzlich kurz nach oben, und es knallte wieder. Der Wagen sackte links ab.
Sie haben an beiden Wagen einen Reifen zerschossen, dachte Benn.
Die Gestalt an seiner Seite drehte sich wieder nach vorn, riss die Fahrertür auf. Ein Mann mit asiatischen Gesichtszügen packte den Fahrer im Genick und drückte dessen Gesicht auf das Lenkrad.
Mit nervösen Bewegungen löste der Angreifer die Handschellen am Gürtel des Fahrers und fesselte dessen Hände an das Lenkrad. Dann richtete der Fremde auf der Fahrerseite seine Waffe auf den Beifahrer und beobachtete, wie der Mann mit dem Brandmal auf der Wange den Polizisten auf dem Beifahrersitz ebenfalls mit Handschellen an das Lenkrad fesselte.
»Rüberrutschen!«
Der Angreifer mit dem Brandmal deutete mit dem Lauf der Maschinenpistole auf die Beifahrerseite im Heck. Dann zeigte der Waffenlauf plötzlich auf Benns Kopf.
Benn behielt den Kopf unten, nickte und hob langsam die Hände. Er packte die Kopfstütze des Beifahrersitzes und rutschte hinüber.
Francesca tauchte neben dem Wagen auf und kletterte neben Benn in den Fond des Wagens.
»Schatz - alles in Ordnung?« Benn hob den Kopf und sah seine Frau an. Ihr Gesicht war schreckensbleich, aber ihre gefasste Miene zeigte ihm, dass sie die Situation vollkommen richtig einschätzte. »An uns haben die kein Interesse!«, sagte Benn dennoch.
»Ich weiß, sie sind hinter Kemper her!«
Francesca sank in den Sitz, und Benn umarmte sie.
Er spürte ihren warmen Körper, ihre Anspannung und drückte ihren Kopf gegen seine Brust, schützte sie mit seinem Körper.
»Das reicht! Selbst für eine schnelle Nummer ist die Zeit zu knapp!«, sagte der Angreifer mit dem Brandmal mit einem Anflug von Belustigung. »Aber wir sind ja gleich weg!«
»Meine Frau!«, rief Benn mit hochgerecktem Kopf, um dann seine Lippen auf Francesca Ohr zu legen. »Bleib ganz ruhig! Alles wird gut. Niemand tut uns etwas! Sie sind hinter Kemper her - nicht hinter uns!«
»Was ist so interessant an
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