Die Quelle
zurollte.
Zunächst verstand Benn das Gewirr aus Zugketten und Holzbalken nicht, das in der Dunkelheit nur noch verwirrender wirkte. Erst allmählich begriff er die Struktur.
Es war, als ob sich in der Mitte des Flusses zwei riesige Waagen träfen. Wurden auf den beiden landzugewandten Seiten die Zugketten betätigt, veränderten die Querbalken auf den Brückenportalen ihre horizontale Lage in eine lotrechte. Damit wurden die beiden Brückenteile in der Flussmitte nach oben gezogen, und die Schiffe konnten hindurchfahren.
Die Holzbohlen polterten dumpf, als der Wagen langsam auf die Brücke rollte. Die Fahrbahn war so schmal, dass nur ein Fahrzeug die Brücke überqueren konnte. Auf beiden Seiten blieb dabei gerade noch Platz für Fußgänger im Gänsemarsch.
Auf der südlichen Flussseite ging die Zufahrt zur Brücke in eine Straße über, an deren gegenüberliegender Seite eine Bushaltestelle lag. Am Übergang der Brücke zur Straße stand linker Hand ein kleines Kontrollgebäude. Davor auf der Brückenzufahrt sah Benn im Licht der Fahrzeugscheinwerfer einen Metallkasten und einen Metallpoller, der einige Zentimeter aus dem Boden ragte.
»Muss man zahlen, um die Brücke nutzen zu können?« Benn zeigte auf Poller und Metallkasten, die offensichtlich anstelle eines Menschen den Brückenzugang regelten.
»Sie haben ein gutes Auge«, antwortete der Polizist. »Ohne Chip kommt hier keiner rüber. Und den kriegt nicht jeder. Eigentlich nur die Anwohner. Trotzdem fahren bis zu sechshundert Fahrzeuge täglich über die Brücke. Das macht dem Gebälk zu schaffen. Es ist immer mal wieder die Rede davon, die Brücke ganz für den Verkehr zu schließen. Aber die Umwege für die Anwohner wären zu groß.«
»Kein Wunder bei dem Poller. Der ist doch viel zu tief angebracht. Da fährt doch jeder Wagen drüber, der nicht tiefergelegt ist.«
»Ganz so doof sind die in der Verwaltung auch nicht«, lachte der Polizist. »Der Poller ragt normalerweise einen Meter aus dem Boden. Aber die Hydraulik ist ausgefallen. Auch der Poller funktioniert nicht ohne Strom.«
Benn drehte den Kopf nach links, um einen letzten Blick auf das mächtige Sperrbollwerk der Hafeneinfahrt zu werfen, als er eine Bewegung wahrnahm. Drei Männer tauchten hinter der Kontrollbaracke auf. Zwei gingen auf der linken Seite am Brückengeländer entlang, der Dritte wechselte auf die andere Brückenseite.
Dann jaulte ein Motor auf.
Ein Kastenwagen, der in der Bushaltebucht gestanden hatte, raste über die Straße auf die Brückenzufahrt zu, stoppte vor dem Poller und versperrte ihnen den Fahrweg.
»Was soll der Mist?«, fauchte der junge Beamte am Steuer des Polizeiwagens.
Benns Blick fiel auf die beiden Männer auf seiner Brückenseite, die plötzlich loshetzten und auf den zweiten Polizeiwagen zusprangen.
»Scheiße, der hat eine Waffe!«, schrie der Polizist auf dem Beifahrersitz.
Benn sah überrascht nach vorn.
Der Mann rechts vor ihnen auf der Brücke stand jetzt mitten auf der Fahrbahn, zielte mit der Waffe auf den Fahrer.
Der Fahrer trat auf die Bremse und riss fluchend die Hände vom Lenkrad.
»Draufhalten, nicht bremsen!«, brüllte der Beamte auf dem Beifahrersitz und fummelte an seinem Gürtel herum, wollte seine Dienstwaffe aus dem Holster zerren.
Ein knisterndes, kurzes Knirschen durchbrach das Schreien des Beamten. Die Frontscheibe war mit einem Schlag milchig weiß; von dem Loch in der Mitte zogen sich Risse nach außen. Die Kugel bohrte sich Zentimeter neben Benns Arm in die Rückbank. Er spürte, wie das Polster vom Einschlag der Kugel zusammengedrückt wurde.
»Wir werden überfallen! Zentrale - hier ist Wagen vier. Wir werden überfallen!«, schrie der Fahrer mit überkippender Stimme in das Funkgerät.
Der andere Polizist hatte seine Waffe halb herausgezogen, als die Beifahrertür aufgerissen wurde und der Lauf einer Maschinenpistole in den Wagen ragte.
Benn blieb regungslos sitzen. Der Fremde an der Beifahrertür hielt den Waffenlauf der Maschinenpistole auf den Kopf des Polizisten auf dem Beifahrersitz gerichtet.
Aus dem Funkgerät quäkte fortwährend eine ruhige, aber angespannte Stimme und verlangte weitere Informationen.
Benn schloss die Augen, dachte an das, was er bei seinen jahrelangen Karateübungen über Kampfsituationen gelernt hatte.
Provoziere den anderen nicht. Vermeide Augenkontakt. Sieh das nicht als Schwäche, sondern als Stärke. Besinne dich auf deine Fähigkeiten. Suche und finde die Schwächen des
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