Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
stiegen.
Michael zog sich eine Vollgesichtsmaske mit Kapuze über. Er atmete durch die Nase in die Maske aus, entfernte die Feuchtigkeit von der Sichtscheibe und schaute in das trübe Wasser, das ihn umschloss. Er kämpfte gegen die heftige Strömung, als er die Druckluftflasche festschnallte und die Tarierweste am Körper sicherte.
Dann blickte er auf die Armbanduhr: Eine Minute war vergangen. Er öffnete die Drahttasche und beobachtete, wie die schwarz gekleidete Schaufensterpuppe von der Strömung mitgerissen wurde und flussabwärts trieb. Michael wusste, dass es mindestens fünfzehn Minuten dauern würde, bis seine Verfolger ein Boot zur Verfügung hatten und den Köder aus den eisigen Wassern zogen.
Michael hatte seine Ausrüstung am Abend zuvor im Schutz der Dunkelheit verstaut. Dabei hatte er einen schwereren, dickeren Taucheranzug getragen und war mit einem Unterwasser-Scooter flussaufwärts gekommen. Es hatte das minimale Risiko bestanden, dass die Drahttasche, die alles andere enthielt, während der vierundzwanzig Stunden bis zu seinem Raubzug aus ihrer Befestigung gerissen wurde, aber Michael hatte Glück gehabt. Er umklammerte die Haltegriffe des Unterwasser-Scooters, schaute auf den Kompass, der auf die Haltegriffe montiert war, und drehte sich flussaufwärts. Dann trat er fest zu, worauf der Motor ansprang, und hielt sich fest, als der kleine Scooter ihn mit einer Geschwindigkeit von fünf Knoten – etwas mehr als neun Stundenkilometer – gegen die Strömung durchs Wasser zog.
Anderthalb Kilometer flussaufwärts tauchte Michael im Schutz von Bäumen auf, deren Äste eine schwere Schneelast trugen. Er ließ den Blick durch das Waldstück schweifen und stieg aus dem Wasser, grub seine Camouflage-Tasche aus dem tiefen Schnee, trocknete sich ab und schlüpfte in einen Parka und Jeans. Die Taucherausrüstung ließ er von der Strömung davontreiben.
Michael schnappte sich seinen Rucksack und lief aus dem Waldstück heraus auf einen Parkplatz. Dort öffnete er den Kofferraum eines 1983er Peugeot, hob einen Behälter heraus, der ein Fassungsvermögen von zwanzig Litern hatte, und stellte ihn neben dem Wagen auf den Boden. Er zog ein Paar dicke Gummihandschuhe an und entfernte mit einem Schraubenzieher den Deckel des Behälters. Er blickte auf; flussabwärts konnte er die Unruhe auf der Brücke sehen und die kleine Gruppe Polizisten, die zuschauten, wie ein Boot über das eisige Wasser auf einen Körper zuraste, der in den frostkalten Fluten trieb. Michael musste grinsen, als er sich vorstellte, wie schockiert die Bullen sein würden, wenn sie »ihn« aus dem Wasser zogen.
Er wandte sich wieder der Aufgabe zu, die anstand, öffnete die wasserfeste Röhre, zog das Gemälde und die Landkarte heraus und legte beides auf den Vordersitz des Wagens. Er wusste, was er zu tun hatte; trotzdem schmerzte es ihn. Das hier hatte ein Mensch geschaffen, der dabei Einblick in sein Herz und seine Seele gewährt hatte. Es war ein Kunstwerk, von dem man glaubte, es sei auf ewig verloren.
Und jetzt …
Michael starrte auf die Landkarte, den eigentlichen Grund für seine Mission, und fragte sich, was sie wohl zu bedeuten hatte. Sie war akribisch genau und zeigte eine unterirdische Welt, die verborgen lag unter einem Bollwerk aus Kirchen. Eine Welt, die nur Genevieve kannte – ein Straßenführer zu einem Geheimnis, das ihren Sohn berauscht hatte, sie jedoch in Angst und Schrecken versetzte.
Michael interessierte nicht, wohin die Karte führte oder was sie enthüllte. Ihn interessierte nur, dass seine Freundin mit dem Leben dafür bezahlt hatte.
Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, nahm er sein Messer und schnitt die Landkarte und Goviers Gemälde in Streifen; dann warf er sie in den Behälter und beobachtete, wie sie sich in dem Säurekonzentrat auflösten, sodass sie nie wieder von einem Menschen geschaut werden konnten.
Diesmal war es wirklich vernichtet worden – das Geheimnis des Mönchs, Goviers Meisterwerk, dieses Rätsel aus vergangenen Zeiten.
2.
P aul Busch stand jeden Morgen um 6.30 Uhr auf, egal um welche Zeit er zu Bett gegangen war. Um kurz nach halb sieben joggte er am Strand entlang oder stemmte in seiner Garage Gewichte. Seit er seinen Dienst quittiert hatte, war es ihm gelungen, seine fast zwei Meter Körperlänge so zu straffen, dass wieder Muskulatur unter dem Fett zu sehen war. Um spätestens 7.30 Uhr duschte er; um 7.50 Uhr war er angezogen und stand bereit, mit seiner Frau Jeannie und
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