Die Quelle
du bereit, die Wahrheit zu erkennen, Kind? Oder
erfüllt dich die Trauer so sehr, dass du nicht mehr denken kannst?“ Seine
Stimme hatte geklungen, als wolle er sie trösten, doch sie hatte nur
Verachtung für ihn übrig, der offensichtlich einen neuen Weg gefunden
hatte, sie zu quälen und sich daran zu erfreuen.
„Deine göttliche Überheblichkeit ist es, die
dich nicht erkennen lässt, was Balderia und Iridien längst verstanden
haben. Wenn ihr Götter mit den Menschen geht und sie unterstützt,
gewinnt ihr. Ihr Götter habt euch bisher doch nie wirklich um die Menschen
gekümmert. Ihr habt sie angelogen, ihr habt sie an Lügen glauben
lassen, die Priester in euren Namen gesprochen haben. Ihr habt die Menschen nie
wirklich unterstützt, denn ihr hattet nur Interesse an eurem
Überleben. Nun da du weißt, wie man sich als Mensch fühlt,
müsstest doch gerade du in der Lage sein, ein besserer Gott zu werden.
Anthalion lächelte leicht verträumt, keine Spur
von Bissigkeit war in ihm zu erkennen.
„Ein besserer Gott… Ja, vielleicht wäre ich das
sogar… Doch ich werde bald nicht mehr existieren. Nicht als Gott, nicht als
Mensch... gar nicht. Dies ist Balderias Urteil. Was schätzt du, Kind?
Werde ich einfach still untergehen?“
Das war es also, was Anthalion wollte!
„Oh nein, Anthalion… Du wirst mich nicht dazu bringen,
die Vision aus Anthalia zu erfüllen!“
„Dann verhindere es!“
Kämpferisch leuchteten seine Augen und Stella
erschauderte. Spürte er, wie viel Angst sie vor ihm hatte? Sie versuchte,
es ihm nicht zu zeigen, doch er lächelte sie belustigt an.
„Weißt du noch, als wir gemeinsam die Ebenen
durchstreift haben? Dort gehörtest du hin! In die Welten, in denen du
keine Furcht empfindest, vor niemandem, auch nicht vor mir. Sobald wir diese
Welt vernichtet haben, solltest du dorthin zurückkehren, und dich nie
wieder umsehen. Nimm diesen Rat von mir an, Kind, und erinnere dich an mich,
wenn ich nicht mehr bin.“
Diesmal konnte Stella das Fließen ihrer Tränen
nicht verhindern. Sie kannte keinen Ausweg. Wie konnte es nur sein, dass ihre
Visionen sie dermaßen betrogen hatten? Sie spürte, wie ihre Wangen
nass wurden.
„Kannst du… Kannst du nicht einmal Gnade zeigen,
Anthalion? Weshalb, willst du diese Welt zerstören?“ Sie hatte selbst
gehört, wie verzweifelt und schwach ihre Stimme geklungen hatte, doch mit
Anthalions Reaktion darauf hatte sie nicht gerechnet. Er ergriff ihren Arm, ehe
sie ihm ausweichen konnte und hielt sie fest, nur um mit einer Hand
zärtlich über ihre Schläfe zu streifen.
„Denk nach, Kind. Du weißt, weshalb ich das Tor
schließen musste. Ich wollte nur existieren, mich mit den Göttern
versöhnen, nachdem sie mich wegen deines Königs verbannt hatten. Aber
das hast du nicht zugelassen… Du hättest es einfach geschehen lassen
können. Du hättest gehen können… Was hatte ich dir denn angetan,
das du mich unbedingt vernichten wolltest?“, flüsterte er ihr liebevoll
zu, als seien sie Geliebte.
Stella versuchte sich von ihm loszureißen, doch es
war nicht mehr notwendig, denn er ließ sie los und sie sprang erschrocken
zurück. Fast traurig wirkte er, doch sein Blick erhärtete sich
wieder, als sich das grausame Lächeln auf seinem Gesicht abzeichnete, das
er stets gezeigt hatte, als er sie gefoltert hatte. Stella erschauderte und
versuchte diese Erinnerungen zu verdrängen. Als Anthalion mit seinen
Ausführungen fort fuhr, war er ganz der Gott der Rache, zu dem seine
Geschwister ihn einst gemacht hatten, als sie ihm zu einem menschlichen
Körper verholfen hatten.
„Du hattest diese wundervolle Vision, als du in meiner
Stadt warst. Die Vision, die dir fast den Verstand geraubt hätte. Du hast
die Zerstörung dieser Welt vorausgesehen und sie mir sogar gezeigt…
Dennoch hast du mich weiter bekämpft und in manchen Schlachten sogar
besiegt. Nun wirst du verlieren. Und zwar alles. Du wirst die größte
Niederlage erfahren, die es je gegeben hat. Wo wollen wir den Kampf beginnen?
Hier? Oder genau dort, wo wir dank deiner Vision beide wissen, dass er enden
wird? Wir beide, inmitten des Sees, bis wir die Welt zerreißen…
Möchtest du jetzt das Schicksal erfüllen, das du nicht verhindern
konntest…. Oder willst du es hinauszögern, um noch ein wenig länger
die Nähe eines Gottes zu genießen?“
Das Bild ihrer einstigen Vision flackerte in Stellas
Geist auf. Das Bild der Zerstörung, ausgelöst durch einen Kampf zwischen
ihnen beiden, ein
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