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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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dort unten rufen hören. Ich kann sie aber nicht entdecken. Ich wollte nachsehen … «
    » Hier oben? « , fragte sein Vater scharf. » Du hast sie unten rufen hören und wolltest hier oben nach ihr suchen? «
    » Ich war mir nicht sicher, ob es wirklich Eryennis war oder nur ein Trick der Uruschge. Der da unten … « , Kanura hatte sich inzwischen ebenfalls umgedreht und blickte ins Tal hinab, » kam in der Gestalt einer Nymphe. Nur war die echte Nymphe eben gestorben. «
    Er seufzte.
    » Eine Nymphe? « , fragte Perjanu so aufgeregt, wie es einem Schanchoyi, der aufgrund seiner großen Weisheit schon jenseits der Abgeklärtheit zu sein schien, überhaupt möglich war. Sein friedlich besinnliches Lächeln war ihm ein wenig entglitten. » Eine echte Nymphe? Du musst dich irren! Seit Generationen hat niemand mehr eine Nymphe gesehen. Seit dem Krieg sind sie verschwunden. Das solltest du doch wissen. Es gibt keine Nymphen mehr. «
    Kanura schnaubte verächtlich und scharrte ungeduldig mit einem Huf.
    » So heißt es. Aber sie war da. Ich habe sie gesehen, sie berührt und mit ihr gesprochen. Sie war verletzt und ist gestorben. Hat sich in Wasser aufgelöst und wurde zu nichts. « Er seufzte erneut. » Sie war so unendlich schön. «
    Zwei Paar Augen starrten ihn an, erst ungläubig, dann aufgeregt.
    » Du meinst, sie sind wieder da? « , flüsterte der Schanchoyi leise, als könnte er weitere Nymphen durch zu lautes Reden vertreiben.
    » Vielleicht waren sie ja nie weg « , meinte Kanura. » Vielleicht hatten sie nur keinen Grund, sich zu zeigen? « Das entsprach nicht den Überlieferungen und war somit schon fast respektlos gegenüber dem Haupthüter des Wissens der Tyrrfholyn. Aber es war an der Zeit, die eingefahrene Denkweise des Schanchoyi zu erschüttern. Tatsachen waren Tatsachen.
    » Es waren so sanfte Wesen. Die Gewalt des Krieges hat sie vernichtet. So heißt es in den Gesängen. « Perjanu ließ sich auf kein Streitgespräch ein. Er kannte alle Gesänge. Und es gab derer unendlich viele.
    » Ja « , murmelte Kanura säuerlich. » Und vermutlich reimt es sich schön. Aber ich habe mit einer Nymphe gesprochen. Sie hat mir ihre Seele geschenkt, bevor sie vergangen ist. «
    Er streckte sich und stand als Mann da. Dann griff er in die Tasche seiner bestickten Weste und holte den Edelstein hervor, der auf seiner Handfläche glitzerte. Der alte Mann und das Einhorn rückten näher heran und starrten ihn an. Dann begann der alte Schanchoyi leise zu singen.
    » Es sang die Nymphe ein Lied, das klang
    wie ein blauer Bach, so zog es entlang.
    Die Worte gleisten wie Funkelsteine.
    Sie sang im Chor mit sich selbst, nur eine
    Strophe aus klarster Kehle.
    Sie sang mit Inbrunst, mit Glitzerseele.
    Denn was sie sang, sollte ewig gelten,
    und mit dem Lied ging sie durch die Wellen. «
    Eine Weile war es ganz still. Dann sagte Kanura: » Ich habe das Lied immer gemocht, bis auf die letzte Zeile. Es reimt sich nicht. «
    » Es muss sich nicht alles reimen, Kanura. «
    » Muss nicht, Meister Perjanu. Aber wenn man sich schon etwas zusammenreimt, dann sollte es nicht ungereimt wirken. Das habt Ihr selbst oft genug gesagt, Schanchoyi und Oberster der Weisen. «
    » Ich … «
    » Schön und gut! « , unterbrach der Fürst, der die Neigung seines Volkes kannte, allzu lange über ästhetische Fragen zu diskutieren. Zur rechten Zeit tat er es selbst gerne. Aber wenn es gerade Wichtigeres gab, scheute er sich nicht, seine kunstsinnigen Gefolgsleute zu unterbrechen. » Über Reime und deren Schönheit können wir ein anderes Mal diskutieren. Wo ist nun Eryennis? Du sagst, du hast sie gehört? «
    » Sie hat gerufen. Aber sie hat sich nicht gezeigt. Ich möchte ihr helfen, aber ich traue den Uruschge nicht. «
    » Was hat sie denn gerufen? «
    » Meinen Namen. Und sie hat gesagt, ich solle eurem Ruf nicht folgen. «
    Perjanus Lächeln kräuselte sich ein wenig bitter auf seinen Lippen.
    » Gerne würde ich sagen, dass das ein Beweis dafür ist, dass es sich nicht um Eryennis handeln kann. Doch ich weiß auch, dass – mit Verlaub – du und Eryennis und Edoryas es schon immer verstanden habt, euch den Regeln des Hofes und der Weisheit des Hra – oder der Schanchoyi – zu entziehen, um zu tun, was euch gerade beliebte. Insofern wäre diese Reaktion von Eryennis noch nicht einmal untypisch. Manche mögen das ein Vorrecht der Jugend nennen. «
    Kanura schnaubte wütend. » Meister Perjanu, bei allem Respekt, ich bin kein Kind mehr. Ich

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