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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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hatten sie noch. Sie würde die Chance zu lieben und zu leben nutzen.
    Sie ließ ihre Finger über seine Schulter gleiten, von dort zu seiner Brust. Schwarze Haare sprossen dort in gänzlich unmoderner Art und Weise. Irene mochte es, folgte der schwarzen Linie, die sich nach unten fortsetzte. Er wuchs unter ihrer Berührung. Kein Mann, mit dem Irene je geschlafen hatte, war so wie er gewesen. Auf keinen Fall war jemals einer davon so gebaut gewesen. Seine Männlichkeit war mehr als nur beeindruckend. Hätte sie seine Sanftheit nicht schon erfahren, sie hätte sich erschrocken.
    » Wissen wir, was uns erwartet? « , fragte sie mit einem letzten Rest Bedenken, der noch nicht von einer Übermacht an Zärtlichkeit überlagert war.
    » Nein « , sagte er atemlos. » Wir werden tun, was zu tun ist. Eines nach dem anderen. «
    » Eines nach dem anderen « , wiederholte Irene. » Und die guten Dinge, wann immer sie kommen. «
    Er lächelte und stieß in sie. Für eine Weile war außer ihm und ihr nichts mehr wichtig.

Kapitel 65
    Die mageren, zerlumpten Menschen starrten Una an, manche feindselig, manche fasziniert. Die Älteren hatten ihr vermutlich ihr Sakrileg noch nicht vergeben. Sie hatte mit dem Messer des Schamanen den Konferenzsack zerschnitten und war daraus hervorgekrochen wie ein Schmetterling aus der Puppe.
    » Wir müssen reden « , hatte sie laut und deutlich verkündet, und alle Menschen, die schweigend um die Decke versammelt standen, waren erschrocken zurückgewichen, als hätte sie sie geschlagen. In der Düsternis nahm sie ihre großäugigen Blicke wahr, funkelnd und voller Ablehnung. Una versuchte sich vorzustellen, was sie in den Augen der Anwesenden gerade tat. Etwas Undenkbares, Sündhaftes, Strafbares. In den Beichtstuhl pinkeln oder etwas Ähnliches.
    » Schsch … « , kam es halbherzig von den Umstehenden, die auf ihren Schamanen blickten, weil sie von ihm eine Reaktion erwarteten. Die kam auch, sobald sich Erdworg und Schamane aus dem Deckensack befreit hatten. Er gestikulierte heftig, seine Finger formten Zeichen, und seine Arme fuhren in weiten Bewegungen um ihn herum.
    » So könnt ihr doch nicht leben « , sagte Una und merkte, wie die Menschen weiter vor ihr zurückschreckten. » Meine Güte! Geht ihr nie ans Tageslicht? «
    » Selten « , erklärte der Erdworg leise. » Land gehört den Meistern. «
    » Und hier unten gehört es ihnen nicht? « , fragte Una. Die Menge blickte etwas betreten um sich.
    » Unten zu eng « , erklärte der Erdworg. » Ist sicher. «
    Der Schamane nickte eifrig. Er blickte sehr ernst und machte weitere ausladende Gesten mit seinen Händen, die Una zwar nicht verstand, von denen sie aber doch annahm, dass sie seine Autorität bestätigen sollten. Es war eine neue Erfahrung für Una, dass sie diejenige war, die ihm diese Autorität quasi gestohlen hatte. Sie hatte ihre Stimme erhoben. Wenn ihr nur jetzt die richtigen Worte einfallen würden, so etwas wie Martin Luther Kings » I have a dream « oder irgendein Schlachtenmonolog von Shakespeare! Wie motivierte man Menschen, in Aktion zu treten? Oder auch nur richtig zuzuhören? Menschen, deren Vorfahren vor mindestens neun, aber vermutlich weit mehr Generationen Unas Welt verlassen hatten. Was hatten sie dort gekannt? Lehnswesen? Leibeigenschaft? Sklaverei? Ganz sicher nicht Demokratieverständnis und Grundrechtsbewusstsein.
    » So könnt ihr doch nicht leben « , wiederholte sie und spürte, dass sie an Boden verlor. Sie musste sich etwas Besseres einfallen lassen. » Ihr seid Menschen! «
    Die Menschen nickten traurig und beugten die Köpfe. Für sie bedeutete Mensch sein, Sklave zu sein.
    » Menschen haben Rechte. Verbriefte, unveräußerliche Rechte. « Der hehre Satz klang plötzlich nach nichts. In dieser Welt waren keine Rechte verbrieft. Die Worte aus ihrer Welt passten einfach nicht. Sie musste das einfacher angehen.
    » Jeder Mensch hat ein Recht auf Freiheit. « War das schon zu kompliziert? » Freiheit ist, wenn man für sich selbst entscheiden kann. Was man sein möchte. Oder was man werden möchte. Wie man seine Begabungen einsetzt. Und wie man leben möchte, wo und mit wem. «
    Das Unverständnis, das ihr entgegenschlug, war fast mit Händen zu greifen.
    » Und das darf jeder für sich selbst entscheiden! « , fuhr sie fort und wurde sich bewusst, dass das in ihrer eigenen Welt auch nicht bedingungslos stimmte. Sie hatte einfach nur das Glück, in einem Land aufgewachsen zu sein, in dem einen niemand

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