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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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ihr nichts entgegenzusetzen als ihre Stimme – und die wollte keiner hören.
    Aber schweigend würde sie nicht untergehen.
    » Ihr müsst euch entscheiden « , sagte sie fest. » Ich gehe jetzt hinauf und habe keine Angst vor ruhenden Meistern. Ich bin mein eigener Meister. Ich gehe hinauf, und ihr könnt mit mir kommen oder nicht. Aber ihr solltet nicht länger im Dunkeln schweigen. Was dort oben könnte schlimmer sein, als hier im finsteren Dreck zu verkommen? «
    Sie blickte in die Runde. Dann drehte sie sich entschlossen um und marschierte auf die dunkle Ecke der Höhle zu, von der sie meinte, dass es dort nach draußen führte. Nach oben.
    » Ergreift sie! «
    Der Befehl des Schamanen war nur geflüstert, doch er trug die ganze Macht des Mannes in sich : seine Wut und Entrüstung. Seltsamerweise – und das überraschte Una selbst – war sie weniger erschrocken, als vielmehr genervt von so viel Klischee. In jedem schlechten Abenteuerfilm kam die Phrase vor: Ergreift sie – oder ihn! Immer ausgesprochen von irgendeinem abscheulichen Widersacher, der seine Schergentruppe bei sich hatte und den Gegner in den Kerker werfen oder gleich umzubringen wollte.
    Anstatt zu fliehen, wirbelte sie herum, sprang direkt auf den Mann zu und krallte sich mit beiden Händen in sein brüchiges Hemd. Sie konnte seinen knochigen Körper darunter spüren. Dennoch war er genauso groß wie sie und hatte die aufgebrachte Gruppe auf seiner Seite.
    Sie holte Luft und schrie ihn an, so laut und fest sie konnte. Ihre Stimme gellte von den Wänden zurück.
    » Was Besseres fällt dir nicht ein, du Arsch? «
    Sie war so gut wie tot.

Kapitel 66
    Enygme blickte auf den Fluss hinter sich. Sie waren alle am anderen Ufer angekommen, die ganze Truppe. Es hatte eine Weile gedauert, Minuten vorsichtigen Annäherns und dann kühn entschlossenen Handelns. Kalt war das Wasser gewesen, denn es kam aus einem kalten Gebirge. An manchen Stellen waren die Fluten dunkel von aufgewühltem Bodenschlick.
    Das Gewässer war an dieser Stelle so tief, dass Enygme gerade noch den Boden mit den Hufen berühren konnte und den Kopf dabei über Wasser behielt. Tief genug, dass da alles Mögliche lauern konnte, unter ihr, neben ihr. Ganz in der Nähe.
    Die Eile hatte sie vorangetrieben, sicher auch die Furcht. In Enygmes Fall war die Furcht vielschichtig, teilte sich in den Widerwillen gegen eine blutige Konfrontation und in die Bedenken angesichts der Verantwortung, die auf ihr lastete. Wenn jemand aufgrund ihrer Entscheidung starb – wie sollte sie damit weiterleben? Sie dachte an Asturs Ermahnung: ihre Traurigkeit war nicht hilfreich; ihre Zuversicht war gefragt. Sie rang darum, blickte gen Norden zu den dunklen Trutzbergen und wusste nicht, wie sie ihre Herde sicher dorthin und wieder zurück bringen sollte. Einmal mehr fragte sie sich, wie die Mardoryx in jenen lang vergangenen Zeiten so hatten handeln können, wie sie es getan hatten. Einhörner schienen so gar nicht geeignet zu sein für kriegerische Auseinandersetzungen. Dennoch hatte es jenen Krieg gegeben, geboren aus dem arroganten Anspruch, besser zu sein als andere. Doch um besser zu sein, musste man erst einmal gut sein.
    Zu viele Grübeleien, und sie führten zu nichts.
    Nun herrschte wieder Krieg, ein anderer Krieg als zu jener Zeit, unberechenbar und hinterhältig. Als spielten sie eine Art Schach, ohne dass ihnen jemand die Regeln erklärt hatte und bei dem einen trotzdem ein falscher Zug alle Figuren kosten konnte, König und Königin eingeschlossen. Sicher war der Krieg gegen die Mardoryx nicht einfach gewesen. Aber immerhin hatten sie gewusst, gegen wen sie kämpften.
    Warum dachte sie jetzt an die Mardoryx? Sie waren Vergangenheit. Enygme kannte sie nur aus den Geschichten und Balladen, doch das Grauen, das der Gedanke an sie auslöste, war für jeden Tyrrfholyn gleich. Wie die Furcht, so teilte sich auch dieses Grauen in Schichten, in das Entsetzen über den Krieg und die Gewalt und dann noch mehr in die erschreckende Erkenntnis, dass Einhörner böse sein konnten. Dass niemand davor gefeit war, das Böse für sich anzunehmen – aus welchen unerklärlichen Gründen auch immer.
    Und nun war das Böse wieder da, diesmal in Form der Uruschge. Enygme hatte sie gespürt. Sie waren dort im Fluss, hatten neben ihnen gelauert. Jeden Augenblick hatte Enygme mit einem Angriff gerechnet, hatte auf den ersten Schrei gewartet, auf ein Aufbrodeln des Wassers, wenn der erste ihrer Freunde und Verwandten im

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