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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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hätte am liebsten nach ihren Eltern, der Polizei, dem Verfassungsschutz und dem Bundesgrenzschutz gebrüllt. Doch viele Hände hielten ihr nun einfach den Mund zu. Es war vorbei.
    » Halt! « , schrie nun eine Männerstimme. Einen Augenblick lang schien alles zu erstarren. » Halt! Nicht! Nichts tun! «
    Es klang, als müsste der Besitzer der Stimme nach jedem Wort einzeln suchen.
    » Nichts tun! « , rief nun auch eine Mädchenstimme. Und dann noch eine. » Nichts tun! «
    Ein allgemeines Zischen durchlief den Mob, eine Weisung, ruhig zu sein. Doch wer immer da seine Stimme erhoben hatte, mochte nicht mehr ruhig sein.
    » Es steht geschrieben! « , piepste nun eine sehr junge Stimme. » Der Retter wird kommen! «
    Wieder zischelte die versammelte Mehrheit die Stimme nieder.
    » Sakrileg! « , schäumte der Schamane und war nun selbst lauter, als er vermutlich sein durfte. » Das ist nicht der Retter! Das ist nur ein vorlautes Weib. Ich sage euch schon, wenn der Retter kommt! Denn er wird kommen mit Donner und Blitzen und wird jene von der Welt fegen, die da hoffärtig und gehörnt sind! « , deklamierte er. » Dies ist das Wort des Gesetzes. «
    Una biss nach einer Hand und wand sich im Griff der vielen verstörten Menschen. Sie konnte sich nicht befreien, aber wenigstens hielt man ihr im Moment den Mund nicht zu.
    » Du weißt überhaupt nichts! « , schrie sie den Schamanen an. » Du würdest den Retter doch nicht erkennen, wenn er dich in den Arsch beißt! «
    Una wehrte sich verzweifelt. Sie wollte nicht sterben. Nicht jetzt, nicht hier, nicht auf so dumme Weise. Schon lag sie auf dem Boden, und über ihr tobte eine Rauferei, die leiseste, die sie je erlebt hatte. Sie verstand zuerst nicht. Dann begriff sie: Man stritt um sie.
    Die Tritte, die sie einsteckte, waren wenig gezielt, aber dennoch schmerzhaft. Hände griffen nach ihr, erreichten sie nicht, weil andere Hände das zu verhindern suchten. Konfuse Aggression, aus Angst geboren, entlud sich über ihr, und sie wäre rasch zertrampelt worden, wären da nicht die Menschen gewesen, die ihr beistanden. Schon schienen sich die dunklen Gestalten mehr untereinander zu prügeln, als auf Una einzutreten.
    Sie versuchte, durch die Beine und Füße der Menschen zu blicken, um nach einem Ausweg zu suchen. Wie ein Wurm wand sie sich am Boden entlang. Einmal biss sie in eine Wade. Etwas trat nach ihr, traf erneut ihre Rippen. Sie jaulte auf.
    Dann war sie dem Menschenknäuel entkommen. Wo war die Treppe? Wo war der Schamane? Der Erdworg?
    Der Schamane und der Erdworg hatten sich aus der Rauferei herausgehalten. Der eine sah wütend aus, der andere betreten. Und vor ihr, direkt vor ihr, führte eine Treppe nach oben. Una überlegte nicht lange. Sie rannte los.
    Ohne Licht wurde es schnell immer dunkler auf der Treppe, und sie stolperte weiter. Verlaufen konnte man sich hier nicht, die Treppe war schmal. Una stützte sich mit einer Hand an der rauen Wand ab. Jetzt, wo sie Stufe um Stufe nach oben hastete, merkte sie, wie erschöpft sie war.
    Warum brannten hier eigentlich nicht in regelmäßigen Abständen Fackeln? In Filmen war das immer so, wenn man auf unterirdische Tunnel stieß. Hier aber verschwendete man keine Lichtquelle für einen Weg, auf dem im Moment niemand sein sollte. Dämliches Filmklischee, dachte Una und wünschte sich, es wäre Wirklichkeit. Was gäbe sie jetzt für einen Schwert schwingenden Helden und lodernde Fackeln in genormten Abständen!
    Doch es umfing sie nur Schwärze.
    Sie hoffte, dass wenigstens keine Abgründe auf sie warteten oder die Treppe plötzlich im Nichts endete. Vor Angst stöhnte sie auf. Unwillkürlich wurde sie langsamer, auch weil ihr die Puste ausging. Sie wusste nicht, wie viele Stufen sie schon hochgestürmt war, aber der Kölner Dom war nichts dagegen.
    Sie stolperte und fiel, rutschte nach unten. Krallte sich am Stein fest. Nein, dies war noch nicht der gefürchtete Abgrund. Sie war nur auf die Stufen gefallen. Schon sprang sie wieder auf und hastete weiter. Der Atem brannte ihr in den Lungen. Ihre Kehle war wie ausgedörrt. Sollte sie Pause machen?
    Eine Pause kam nicht infrage, denn nun konnte sie etwas hören. Es kam aus der Tiefe der Dunkelheit – aus der Richtung, aus der sie geflohen war. Schritte. Sie wurde verfolgt.
    Trotz ihrer Erschöpfung lief sie schneller. Wenn sie erst einmal wieder etwas sehen konnte, würde alles besser sein. Vielleicht konnte sie sich in der Burg ja verbergen? Natürlich würden ihre

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