Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
Vom Netzwerk:
Feuer hatte sie verändert. Dort, wo ihre prächtige rote Mähne gewesen war, bedeckten heiße Schuppen wie die eines Tannenzapfens ihre Haut. Sie sah an sich hinunter. Ihre makellose helle Haut, die sowohl Kanura als auch Edoryas so gerne liebkost hatte, war von dem Flammen schwarzgefärbt und grau gemasert, wie verkohlter Marmor. Was sie an Kleidung getragen hatte, war verbrannt.
    Metamorphose. Das Wort schoss ihr durchs Gemüt, doch weiter darüber nachzudenken, war ihr zu schmerzhaft. Sie lebte. Irgendwie lebte sie noch.
    Sie besann sich ihrer ursprünglichen Absicht. Raus. Sie musste hier raus. Sie wollte nicht mehr die Schnittstelle sein zwischen den scheinbar wahllosen Eindrücken und Visionen, die sie auffing und weiterleitete, und den Absichten des Clans der Re-Gyurim, deren Erbin sie war. Sie wollte nicht mehr deren Zukunftspfand sein und Hoffnungsträgerin ihrer Eltern, die dies – und das hatten sie stets betont – alles nur für sie taten.
    Alles. Alles nur für sie. Hatte sie das je geglaubt? Hatte sie es gerne geglaubt? Sie hatte es immer gemocht, wenn sich alles nur um sie drehte. Der Mittelpunkt hatte sie sein wollen, und hier in diesem Berg zwischen dem Norden und dem Süden, zwischen Gegenwart und Zukunft war sie es geworden.
    Es war nicht mehr wichtig. Eryennis spürte die Präsenz der vieläugigen Verbündeten nun noch stärker als zuvor. SIE war Dreh- und Angelpunkt von allem, was in diesen Felsen geschah. Ein konzentrierter Nukleus war SIE , mehr als nur ein Brückenkopf, mehr als nur die Botschafterin der Mardoryx, als die sie sich dargeboten hatte. SIE war kein Mittler. SIE war – Eryennis versuchte ein passendes Wort zu finden, doch ihr fiel nur eines ein: viele. SIE war viele.
    Metamorphose. Wieder dieses Wort. Es schien auch auf SIE zu passen. Vielleicht war dieses ganze schreckliche Gebirge, das so plötzlich die Welt umgestaltet hatte, ein Hort der Metamorphose? Hier wurde alles anders. Gesänge wurden zu Wegen, Klänge zu Befehlen, Einhörner zu schwarzen Aschewesen. Hoffnungen zu Staub.
    Eryennis begriff mit schneidender Klarheit, dass sie selbst es war, die diesen Krieg gewollt hatte, um ihr Ziel zu erreichen. Nun, vielleicht hatte sie ihn nicht so sehr gewollt wie billigend in Kauf genommen. Ein bisschen Krieg, nur ein bisschen.
    Doch so etwas wie ein bisschen Krieg gab es nicht. Genausowenig, wie man ein bisschen trächtig sein konnte. Krieg hieß immer Tod. Endgültig tot, nicht ein bisschen tot.
    Sie kauerte sich erschreckt auf den Boden, als sie die feinen, schwachen Stimmen hörte. Doch das war nicht SIE . SIE war deutlicher, schnitt mit IHREN Liedern durch den Fels und formte ein Netz an Gängen – und Gänge voller Netze.
    Eryennis begriff einmal mehr, dass sie ihre Entscheidung getroffen hatte, ohne genaue Kenntnis von dem zu haben, was sie lostreten würde.
    Sie kroch auf den Klang zu, ahnte, dass sie die Geheimnisse lösen musste, bevor sie von hier flüchten konnte. Sie erinnerte sich nun daran, wie sie hierhergekommen war. Freiwillig hatte sie das glatte steile Gebirge erklommen, war durch einen Spalt von einem der Pelzschrate nach innen gelotst worden. Aufregend hatte sie das gefunden. Sie war Trägerin einer Verantwortung, Abgesandte einer neuen Ordnung, die sie mit aufzubauen trachtete.
    Nur war es eine alte Ordnung: die der Mardoryx. Ein wenig anders vielleicht. Man musste nicht alle Fehler wiederholen. Aber die Macht der Mardoryx war doch gut gewesen. Nun, vielleicht nicht gut, aber zumindest erstrebenswert. Als Verbündete im Kampf um die Vorherrschaft waren sie die Trumpfkarte, die die Re-Gyurim auszuspielen wussten. Und es war schließlich unfair gewesen, dass die Re-Gyurim immer und immer zurückstehen sollten, vor allem gegen die Ra-Yurich.
    Doch Eryennis hatte nicht wie geplant die Berge durchquert, um dann mit den mächtigen Einhörnern des Nordens eine dynastische Verbindung zu festigen. Auf dem Weg dorthin war sie quasi im Berg stecken geblieben mit der diffusen Aufgabe, ihren Clan von den Bruchstücken der Wahrnehmung zu unterrichten, die sie empfing. Sie war Mittlerin und Orakel von wirren Informationen, die Wissen nur vorgaukelten.
    Alles war gesteuert gewesen. SIE hatte dirigiert, was Eryennis sah und was die Re-Gyurim zu wissen meinten. Es gab keinen edlen Mardoryx-Prinzen, mit dem Eryennis eine neue Dynastie aufbauen würde, die den Norden und den Süden vereinigte. Es gab nur SIE .
    Eryennis hatte in ihren Visionen keinen einzigen Mardoryx

Weitere Kostenlose Bücher