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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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kam auf seinen vier Hufen zu stehen. Panisch versuchte er, sich zu orientieren. Es waren nur Sekunden gewesen, doch diese waren lang.
    Er hatte seinen Sprung wahrlich gut platziert. Sein Feind befand sich direkt vor ihm und stieß auch schon mit seinem Horn nach ihm, da hatte Esteron noch kaum begriffen, dass er stand, vier Hufe auf dem Boden, weit entfernt von dem Baum, auf dem er eben noch gehockt hatte.
    Das Horn des Feindes stach nach seinem Auge. Blitzschnell. Esteron sprang nach vorne, wusste, noch während er dies tat, dass er zurückweichen hätte sollen, um dem Stoß zu entgehen. Stattdessen trugen der Schwung seines Sprungs und der Zorn, der in ihm tobte, ihn vorwärts.
    Als Nächstes konnte er fast nichts mehr sehen, obgleich die Nacht sternenklar und mondhell war. Auch war er beinahe unfähig, seinen Kopf zu bewegen.
    Er wusste, dass das entsetzte Schweigen seiner Feinde gleich ins Gegenteil umschlagen würde. Die Gedanken der Re-Gyurim, die um ihn herumstanden, erreichten ihn wie eine Springflut, die Gefühle von langsamem Begreifen und Hass, der ihm entgegenschlug.
    Er sprang jäh zurück, als er begriff, was geschehen war. Mit einem schmatzenden Geräusch fuhr sein Horn aus dem Hals Hre-Hyrons, wo es bis zum Anschlag gesteckt hatte. Einhornblut spritzte in hohem Bogen. Hre-Hyrons Blick war weiß vor Entsetzen und Unglauben. Er hatte seinen Sieg vor Augen gehabt. Nun versuchte er zu begreifen, was gerade geschehen war.
    Noch stand der Re-Gyurim – reglos. Doch Esteron musste eine Arterie getroffen haben. Er stand ebenso versteinert, fühlte, wie das Blut eines seines Artgenossen auf ihn spritzte wie Regen. Nun kam Bewegung in die restlichen Re-Gyurim. Esteron stand mitten unter ihnen. Er atmete schwer, konnte nicht von der Zerstörung fortblicken, die er selbst angerichtet hatte, im Schwung, im Affekt, ohne noch genau seinen nächsten Schritt geplant zu haben. Zufall? Schicksal? Glück? Die Macht Talunys’?
    Er sollte sich um die anderen Re-Gyurim kümmern. Gleich würden sie ihn angreifen. Doch er konnte sich nicht losreißen von dem Anblick des blutenden Feindes, dessen Beine nun zu zittern begonnen hatten, ein Zittern, das sich alsbald über den ganzen Körper ausbreitete und schließlich sogar die prächtige Mähne des Leithengstes erbeben ließ. Gleich würde er niederstürzen – und mit ihm die Träume, die er sich erlaubt hatte. Ein so stolzer Tyrrfholyn. Stolzer als gut für ihn gewesen war.
    Esteron sah aus dem Augenwinkel, wie sich die Re-Gyurim formierten. Tatsächlich waren nur wenige Sekunden verstrichen. Er sollte sich umdrehen und sich dem Kampf stellen. Stattdessen gab er ihnen einen Befehl.
    » Singt ihm das Lied. Helft ihm in den Klangnebel! «
    Nun war es endgültig still. Im Sternenlicht standen sie da, Tyrrfholyn auf jeder Seite. Eine Stimme begann zu singen. Das war Enygme. Ausgerechnet die Fürstin sang ihrem Feind den Gesang der Erlösung.
    Während die Re-Gyurim noch zauderten, stürzten nun die Uruschge vor. Vielleicht hatte der Geruch des Blutes sie aus ihrer Lethargie gerissen? Mit gesenkten Hörnern preschten die Wasserpferde aus dem Hintergrund heran. Ihr Eingreifen brach den Bann, der über den Re-Gyurim lag. Esteron sprang herum, sah sich einer unbesiegbaren Übermacht von Re-Gyurim und Uruschge gegenüber.
    » Tyrrfholyn! Helft eurem Fürsten! « , rief Enygme, die ihr Lied jäh unterbrochen hatte, als sie ihren Liebsten in einer so ausweglosen Situation sah. Esteron blickte sie an. Einen langen Moment trafen sich ihre Blicke. Liebe lag darin.
    Dann raste einer der Uruschge auf ihn zu, die langen Doppelhörner gesenkt. Nach ihm folgten weitere. Von der Seite konnte Esteron Re-Gyurim ausmachen, die ebenfalls auf ihn zukamen.
    Schreie durchschnitten die Nacht. Esteron machte sich bereit, sich all den Feinden zu stellen und sie zu bekämpfen, so lange es ging. Die Übermacht war gewaltig. Pfeile flogen sirrend durch die Luft.
    Pfeile? Wer schoss Pfeile?
    Der Uruschge vor ihm warf sich herum, noch bevor er Esteron vollends erreicht hatte. Esteron sah, dass ihm ein ganzer Strauß von Pfeilen in der Hinterfront steckte. Nun warfen sich auch andere Uruschge herum, schrien meckernd, versuchten, mit den Mäulern an die Pfeile zu kommen, um sie sich aus dem Fleisch zu ziehen. Fast sprangen sie in Kreisen wie Hunde, die ihrem eigenen Schwanz nachjagten. Eine neue Salve Pfeile kam aus dem Gesträuch.
    In die Schlachtformation – falls es je eine gegeben hatte – kam Unordnung.

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