Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
«
» Hier können wir nichts mehr tun « , sagte Esteron. Es klang härter als beabsichtigt. » Wir müssen nach Kerr-Dywwen. Wir müssen Pläne schmieden. Uns eine Strategie überlegen. Das Gelände sichern. Wenn die Uruschge zurückkommen, müssen wir vorbereitet sein. Und sie werden zurückkommen. «
Ein letztes Mal scharrte Enygme im steinigen Flussgrund. Dann wandte sie sich ab und trabte über die Brücke, wortlos. In diesem Augenblick begriff Esteron, dass Perjanu und er den Weg zurück nicht auf den eigenen Beinen schaffen würden. Er biss die Zähne zusammen und sagte nichts, doch Enygme hatte verstanden.
» Habt ihr die Kraft, euch zu wandeln? « , fragte sie.
Er fand sie, doch er strauchelte vor Erschöpfung und fiel um, als er in Menschengestalt auf nur zwei Beinen dastand. Keuchend setzte sich wieder im Matsch auf. Er griff neben sich nach Perjanu, der in Einhorngestalt immer noch hilflos am Boden lag. Esteron konzentrierte sich und mobilisierte seine letzten Kraftreserven. Fast schwanden ihm die Sinne bei der Anstrengung, doch schließlich lag Perjanu als alter, blutender Mann neben ihm auf dem Boden.
» Ihr werdet reiten müssen « , sagte Enygme und blickte bei der Ungeheuerlichkeit dessen, was sie vorschlug, schuldbewusst drein. » Du kannst auf mir reiten. «
Esteron schüttelte den Kopf.
» Nein « , sagte er. » Nicht auf dir. Du führst die Truppe. Suche zwei andere für uns aus, Feldherrin. «
Sie sah ihn entsetzt an. Dann verstand sie, dass er es ernst meinte. Er hatte sie im Rang erhoben und sich selbst zurückgesetzt. Jetzt war nicht der geeignete Augenblick, darüber zu diskutieren. Jetzt mussten sie nur zurückkommen. Irgendwie. Und wenn es in Schande war.
» Wir führen eine Heilung durch. Hier. Jetzt! « , befahl sie dann auch. » Eine schnelle Erstheilung. Für Details ist in Kerr-Dywwen noch Zeit. Ihr müsst zunächst den Ritt durchstehen. «
Die Tyrrfholyn stellten sich im Kreis um die beiden Verwundeten auf, ihre Hörner zeigten alle in die Mitte. Dann hoben sie sich gegen den dunklen Himmel. Wie schnell die Nacht hereingebrochen war!
Die Einhörner summten einstimmig, dann im Dreiklang, modulierten von Moll nach Dur, ordneten die Harmonie neu, machten sie weit und vielstimmig. Der Klang öffnete sich wie eine Blume und erblühte zu einem perfekten Ton.
Kraft rann wie flüssiges Feuer durch Esterons Adern. Er spürte, wie manche seiner Wunden kleiner wurden, wie ihr Schmerz nachließ, ohne jedoch ganz zu verschwinden. Er griff den Ton auf, seine Stimme schwang nun allein, vervollkommnete das Klanggebäude wie eine architektonische Verzierung, machte das Gesungene vollkommen.
Perjanu sang nicht, er hatte keine Kraft dazu. Esteron zog ihn auf die Beine und stützte ihn, so gut es ging. Zwei junge Einhörner lösten sich aus dem Kreis und kamen zu ihnen, beugten sich nieder, um ihnen das Aufsteigen zu erleichtern.
» Ich sehe euren Dienst und achte euch dafür « , sprach Esteron. Perjanu zischte nur vor Schmerz, als das Einhorn unter ihm sich in die Höhe reckte, ihn hob und vorsichtig mit seiner Last losschritt. Esteron verkniff sich jeden Klagelaut. Es war schlimm genug, ohne dass er jammerte. Er hatte seinen Kampf verloren. Er hatte seine Fürstenwürde beschmutzt. Und sein Sohn und Erbe war nicht mehr.
Er blickte ins Wasser.
» Kanura « , flüsterte er. » Dein Tod wird uns Ansporn sein, der Gefahr zu trotzen. «
Kapitel 17
Una zwang sich, ihren Blick vom Körperbau des Mannes auf seine Wunden zu richten. Diese waren tief und schartig und mussten höllisch wehtun. Warum dieser Mann sich nicht jammernd auf dem Boden krümmte und nach einem Krankenwagen schrie, war kaum zu begreifen. War er so tapfer?
» Damit kann man heilen? « , fragte er skeptisch und blickte auf die kleine Rolle Mullbandage, die Pflaster, das Fläschchen mit dem Antiseptikum und die winzige Dose Wundcreme.
» Na ja. Erstversorgung. Und eigentlich für kleinere Wunden, als du sie hast. «
Sollte sie fragen, wie er sich nur so furchtbar hatte verletzen können? Doch letztlich ging es sie nichts an. Sie blickte etwas ratlos auf die Wunden, die aussahen, als hätte ihn ein riesiges Raubtier gebissen. Eine würde sie vielleicht verbinden können. Zu mehr reichte der Inhalt ihres Verbandskastens nicht.
» Bist du Heilerin? «
» Nein. «
Er streckte seine rechte Hand nach ihr aus. Blutspuren waren daran zu sehen, heruntergelaufen von einer Wunde am Oberarm. Er hatte wunderschöne, große und
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