Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
Vom Netzwerk:
sich, etwas Irisches zu singen, weil es hierher passte, zum Grün der Landschaft, zur goldenen Fülle des Abendlichts, zum Gurgeln der heiligen Quelle.
    Und zu irgendwas musste es ja gut sein, dass ihre Eltern versucht hatten, sie zur irischen Musikerin zu erziehen. Sie konnte sogar ein paar irisch-gälische Lieder. Das sollte ihn dann wenigstens beeindrucken.
    Sie holte tief Atem und konzentrierte sich. Ein schönes Lied. Eines, das den Sommer und die Liebe besang.
    » Tiocfaidh an samhraidh agus fásfaidh an féar … « , begann sie das alte gälische Lied. Sie kannte den Inhalt und fragte sich, ob er ihn auch verstand: Der Sommer kommt, und das Gras ist grün, die Blätter sprießen an den Bäumen. Meine Liebe kommt bei Tagesanbruch. Du Freude meines Herzens, wirst du mit mir gehen?
    Mit Andacht und Seele, hatte er gesagt. Una sang mit ganzem Herzen. Sie blickte ihm dabei in die Augen, die so ungeheuer ausdrucksvoll waren. Erst jetzt spürte sie, dass er wieder seine große Hand nach ihr ausgestreckt hatte. Er berührte sie diesmal an der Schulter. Ganz sanft. Dann etwas fester. Die Finger umschlossen ihr Schultergelenk.
    Sie sollte sich nicht von fremden Irren berühren lassen. Auch nicht von fremden Iren. Und doch war es, als würde diese Berührung sie auf eigenartige Weise verbinden, wie eine Rettungsleine von ihr zu ihm.
    Ihr Lied schwang in der Luft wie sanfter Nebel. Una fühlte sich, als hätte sie das größte Publikum der Welt. Dieses eine Lied nicht nur gut zu singen, sondern als das, was es war, zum Leben und Schwingen zu bringen, wurde das Wichtigste in diesem Augenblick. Sie versank in der zeitlosen Schönheit der alten Ballade.
    Nach der letzten Strophe endete sie mit einem zarten Tremolo. Eine Weile war es ganz still. Sie holte mühsam ihren Blick ein, der sich in der Weite seiner Augen verloren hatte, sah hinunter auf den moosigen Boden, dann hoch zu dem Mann, der immer noch ihre Schulter festhielt. Seine Augen waren weit geöffnet, auch seine Lippen standen etwas offen, staunend, wie sie meinte. Seine Nasenflügel bebten beim Ausatmen. Sie hatte andächtig gesungen – und er hatte andächtig gelauscht. Sie spürte die Verbundenheit zwischen ihnen, fühlte seine warme Hand, versank in dieser Empfindung. Riss sich eisern davon los.
    Seine Wunde am Hals hatte sich geschlossen. Una traute ihren Augen kaum. Sie ließ den Blick über die Verwundungen seines Oberkörpers gleiten. Sie sahen nicht mehr so schlimm aus. Richtig verheilt war noch nichts, doch die Heilung war sichtbar fortgeschritten.
    Sie irrte sich nicht – obwohl ihr damit wohler gewesen wäre. Doch was sie sah, ließ sich nicht leugnen. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und davongerannt. Das konnte einfach nicht sein. Es gab schon mal seltsame Dinge – aber das hier war gänzlich unmöglich. Kalte Schauer jagten ihr über den Rücken.
    Sie war ein Mensch, hatte er gesagt. Und was war er dann? Oder hatte er sie irgendwie hypnotisiert? Wurde sie gerade manipuliert und glaubte an Wunder anstatt an Betrug, weil Wundersames eben schöner war und ihre Mutter die Existenz des Wundersamen immer als Möglichkeit gepriesen hatte?
    Und überhaupt sollte sie nicht dauernd an ihre Mutter denken. So viel Prägung konnte nur ungesund sein.
    » Ich muss jetzt gehen! « , sagte Una hastig und bemerkte, dass sie zitterte. Wurde es nicht langsam kühler? Schließlich war es Abend, und sie musste machen, dass sie hier fortkam.
    Weg. Schnell.
    Sie versuchte aufzustehen und bemerkte, dass sie von einer fast bleiernen Müdigkeit niedergedrückt wurde.
    » Erhol dich erst « , sagte er. » Das war ein schönes Lied. Du bist eine gute Bardin. Die Barden meiner Heimat wären erfreut, dich kennenzulernen. «
    » Die …? « , Una wusste nicht, was sie darauf sagen sollte, also wechselte sie das Thema. » Geht es dir besser? « , fragte sie.
    » Danke, ja. Das hast du gut gemacht. «
    » Ich habe doch nur gesungen. «
    » Schönheit hat ihre eigene Macht. Und wie du gesungen hast, das war unendlich schön. «
    Es war vermutlich das großartigste Kompliment, das sie je für eine musikalische Darbietung bekommen hatte. Gleichzeitig war der Kommentar zutiefst verunsichernd, und sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte.
    » Die Schönheit deines Gesanges hat mir die Macht gegeben, mich zu heilen « , erklärte er.
    » Du bist ein Heiler? « , fragte sie. » Ein … äh … Selbstheiler? «
    Er lachte. » Menschen haben so manche Kunstfertigkeit, die einem

Weitere Kostenlose Bücher