Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
dem sich die Menschen versammelt hatten.
» Du bist ein Mensch, nur ein Mensch. Du hast hier nichts zu sagen. «
Der Mensch trat vor.
» Hrya-Enygme, ich melde mich freiwillig zum Kampf gegen die Uruschge. «
Gift, dachte Enygme. Die Luft fühlte sich vergiftet an. Zwietracht war in die Hallen Kerr-Dywwens eingekehrt.
Kapitel 21
Una rannte bereits eine Weile, als ihr klar wurde, dass sie das gar nicht wollte. Sie war völlig außer Atem, und ihr Brustkorb brannte wie Feuer davon, dass sie beinahe ertrunken wäre. Auch schien ihr Denken nicht richtig zu funktionieren. Dauernd fielen ihr Dinge auf, die nicht sein konnten.
Diese Quelle hatte so harmlos ausgesehen. Wie hatte sie fast darin ertrinken können? Und warum hatte sie die Grotte nicht mehr gesehen, als sie zu sich gekommen war? Waren sie so weit flussabwärts an Land gekommen? Überhaupt, wieso sah alles so ganz anders aus als vorher?
Es musste an der Dunkelheit liegen. Im Mondlicht wirkte alles fremd, noch dazu in einem fremden Land. Doch sie konnte sich nicht erinnern, so eine steinige Landschaft vorher gesehen zu haben. Clare war gewöhnlich grün und saftig und irgendwie weich und sanft – außer natürlich im Burren, der brüchig felsigen Karstlandschaft im Nordwesten der Grafschaft. Diese Umgebung fühlte sich ganz anders an, auch wenn man in der Nacht nicht besonders weit sehen konnte.
Immer wieder stolperte sie, fiel, wurde wieder hochgezogen von dem Mann, der sie entführt und fast ermordet hatte. Er hatte es offenkundig sehr eilig und war über ihre mangelnde Geschwindigkeit und ihr Ungeschick alles andere als glücklich. Manchmal hatte sie Angst, er würde sie schlagen, doch noch hatte er das nicht getan. Tatsächlich war es auch nicht das Schlimmste, was ihr geschehen konnte, sondern nur das erste in einer langen Reihe von schrecklichen, tödlichen Dingen, die er ihr antun konnte.
Bisweilen hörte sie hinter sich Geräusche, die sie nicht einordnen konnte. Wurden sie verfolgt?
Vielleicht wäre das gar nicht schlecht. Vielleicht war das ja die Rettung, die bereits unterwegs war, um ihr zu helfen. Sollte sie schreien? Sie hatte einmal gelesen, dass, wenn Frauen weniger lange überlegten und dafür schneller schrien, so mancher Angriff glimpflicher verlaufen würde. Also schreien?
Doch sie kam kaum zu Atem, keuchte laut und schmerzhaft, kämpfte wie eine Wilde um jedes bisschen Luft. Wieder hatte sie das Gefühl, gleich zu ersticken, weil ihre geschundenen Lungen nicht genug Sauerstoff bekamen. Ihr wurde schwindlig, und sie fiel. Der Boden war hart und voller scharfer Steine. Ihre Handflächen waren aufgerissen, ebenso ihr rechtes Knie. Sie spürte, wie Blut an ihrem Bein hinunterlief.
Wieder zerrte dieser Mann an ihr. Doch sie konnte nicht mehr aufstehen, wollte es auch nicht. Sie blieb einfach liegen.
» Una Merkordt! « , sagte er etwas ungeduldig. » So komm! «
Sie krallte sich an einigen Grasbüscheln fest. Das würde nichts nützen, doch sie konnte nicht weiter. Ihr Atem ging pfeifend und stoßweise. Sie hatte nicht einmal genug Luft, um ihm zu sagen, er solle sie gefälligst in Ruhe lassen. So was konnte man einem Irren wohl ohnehin nicht einfach so sagen. Vielleicht sollte sie mit ihm diskutieren, ruhig und sachlich? Aber sie war weder das eine noch das andere. Sie war von Panik durchdrungen und völlig erschöpft.
Was hatte er noch gesagt? Una wolle nicht gefressen werden. Es würde sie doch sicher nicht gleich hier fressen? Wo verspeisten Kannibalen ihre Opfer?
Sie wusste es nicht. Um Kannibalismus hatte sie sich in ihrem ganzen Leben noch keine Gedanken gemacht. An so etwas dachte man noch nicht mal, wenn man im Dschungel Urlaub machte, umso weniger an einem so touristisch durchorganisierten Ort wie Irland, wo das Tourist Office an jeder Ecke schon einmal probegeschlafen hatte. Überhaupt konnte sie sich das gar nicht vorstellen. Doch er hatte es gesagt, sie erinnerte sich ganz genau an seine Worte: Du willst doch nicht gefressen werden. Das » Oder? « klang dabei unausgesprochen mit.
Ganz plötzlich brach alles über Una zusammen. Die fremde Nacht, der fremde Mann, der Tod, der schon so nah gewesen war und auch jetzt nicht fern schien. Ihr war, als könnte sie ihn sehen, lauernd in den Schatten, mit oder ohne Sense, in den spärlichen Büschen etwas weiter entfernt hinter ihnen. Er verfolgte sie. Dunkel war er, groß, verschwamm mit dem Hintergrund und war vermutlich nichts als Einbildung – oder doch mehr? Sie konnte
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