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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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es nicht erkennen. Nicht genau. Nur Schatten in dieser völlig grauenvollen Nacht, in der noch nicht einmal die Sterne am Himmel stimmten.
    Una brach in Tränen aus, sie konnte nicht anders. Alles Unglück hatte sich in ihrer Seele zusammengezogen und sich mit der Panik und dem Schmerz vermischt, die sie nicht mehr abschütteln konnte. Sie hatte nicht geweint, als Jan ihr die SMS geschickt hatte, jene SMS , die schuld daran war, dass sie jetzt hier war und nicht am Strand in Spanien mit einem Glas Sangria in der Hand. Sie hatte nicht geweint, als sie sich entschlossen hatte, mit ihrer Mutter nach Irland zu reisen und dort schließlich allein herumzufahren, hatte nur eine Art dumpfe Resignation gespürt.
    Doch jetzt prasselte alles auf sie ein, kochte hoch aus ihrer Seele, brodelte wie siedender Schmerz in ihrem Brustkorb. Vielleicht war ihr Leben nun zu Ende, mit achtzehn. Und niemand würde ihre Leiche finden, weil sie einem irren Pferdekiller und Menschenfresser in die Hände geraten war.
    » Una! « , drängte er wieder. Seine Hand strich ihr über die feuchten Haare. Sie erschauerte bei der Berührung. Wenn er sie nur nicht anfassen würde! Der Gedanke löste Entsetzen in ihr aus.
    Er zuckte erschrocken zurück.
    » Ich wollte dir nicht wehtun! « , versicherte er nicht gerade überzeugend. » Wir müssen hier weg! «
    Sie lauschte in die Nacht. Jetzt hörte Una keine Verfolger mehr. Doch da war diese Gestalt gewesen, die sie – vielleicht – in den Büschen gesehen hatte. Wenn sie jetzt aufsprang und auf diese Gestalt zurannte, würde das irgendetwas ändern?
    Etwas hielt sie zurück. War es die Assoziation, die bei dem Gedanken an die Gestalt mitschwang, und die eher Tod als Rettung verhieß?
    » Steh auf! « , drängte Kanura erneut. » Wir müssen weiter. «
    » Ich kann nicht mehr « , stöhnte Una in den Boden hinein. Sie log nicht. Jede Faser ihres Körpers tat weh. Und ihre Knie waren wie Pudding. » Bitte tu mir nichts! «
    Es klang kläglich. Wo war ihr Stolz? Der zumindest hatte das Bad im Bach nicht überlebt.
    » Ich tu dir nichts. Aber etwas verfolgt uns. Wir müssen hier weg. «
    Endlich sah sie zu ihm auf. Kanura hockte auf den Fersen, ganz nah über ihr. Sein Oberkörper war nackt; sein Hemd lag sicher noch neben der Quelle. Sein Blick flog von ihr in die Weite, ging nach rechts, ging nach links, schien etwas zu suchen, unstet und unruhig. Sie bemerkte, dass ihre Satteltaschen neben ihm lagen. Er hatte sie mitgeschleppt. Würde er das tun, wenn er sie nur umbringen wollte? – Warum nicht? Wenn von ihr nichts übrig blieb – nicht einmal die Satteltaschen –, dann würde er mit seiner Tat davonkommen. Sie hätte eine Spur legen sollen. Doch womit?
    Sie zitterte jetzt so sehr, dass ihr Körper fast abzuheben schien. Wieder näherte sich seine Hand, aber diesmal berührte er sie nicht; er hatte wohl verstanden, dass sie das keinesfalls beruhigte. Doch er ließ die Hände über ihr schweben.
    Dann summte er leise.
    Die Melodie kannte Una nicht. Sie war seltsam und voller großer Intervalsprünge, kaum als ein Lied erkennbar. Seine Stimme war ein wenig rau und verhaucht, hatte einen erstaunlichen Tonumfang von tief bis hoch, und obwohl er sich offenkundig Mühe gab, nicht allzu laut zu sein, war der Gesang von ungeheurer Intensität. Mit jedem weiteren Ton drang sein Singen in ihr Denken und Fühlen. Es war fremd, und doch auch von außergewöhnlicher Schönheit. Langsam beruhigte sich ihre Atmung. Selbst der Schmerz ließ ein wenig nach. Ihr Schluchzen verebbte. Sie lag da, kaputt und erschöpft, aber nicht mehr völlig zerstört.
    » Ich kann das leider nicht besonders gut. Ich bin selbst auch ziemlich angeschlagen « , meinte er entschuldigend, doch sie verstand nicht, was er damit meinte. » Geht es dir ein bisschen besser? «
    Una nickte und wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie hätte sich vor diesem Irren nicht so gehen lassen sollen.
    » Dann steh auf, Una. Wir müssen weiter. Ich weiß nicht, wo wir sind. Aber ich habe ein schlechtes Gefühl, und wir sollten hier weg. « Er klang besorgt. » Ich sollte wissen, wo wir sind « , fügte er beunruhigt hinzu. » Ich bin ein Sohn Talunys’. Nichts hier sollte mir fremd sein. Ich sollte – immer … genau wissen, an welcher Stelle von Talunys meine Hu… äh, Füße den Boden berühren. «
    Er streckte ihr seine Hand entgegen.
    » Lass dir aufhelfen, Una. «
    Widerstrebend nahm sie seine Hand, als folgte sie einem Impuls, den sie nicht

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