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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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hatten die Menschen von sich aus bestätigt – weit weniger grausam und aggressiv als sie. Einhörner bedienten sich der Macht, die sie hatten, mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der sie sich selbst moralische Grenzen setzten. Sie alle hielten sich an Gesetze, die doch nirgends auf einer Gesetzestafel niedergeschrieben waren.
    Die Menschen waren in dieser Hinsicht viel genauer. Sie definierten ihr Leben, ihre Rechte und ihre Pflichten präzise – um sie dann möglicherweise dennoch zu brechen. Nur die Definition half ihnen, Recht von Unrecht zu unterscheiden.
    Gerne hätte Esteron geglaubt, dass diese Begabung, das Gute vom Bösen zu trennen, den Tyrrfholyn von Natur aus angeboren war. Doch allein die Vielfalt der Meinungen, die von dem Moment an aufeinandertrafen, in dem Enygme die Versammlung eröffnet hatte, verdeutlichte, dass man vielleicht das Unrecht nicht anstrebte, zu dem, was richtig war, aber durchaus unterschiedliche Meinungen haben konnte.
    Wie er selbst trug auch Enygme blattgrüne Hosen, die in überkniehohen Stiefeln steckten. Ihre Tunika war mit arabesken Silber- und Goldranken bestickt, die unter der kunstvoll verzierten Lederrüstung viel zu wenig zur Geltung kamen. Ihre Platinmähne war streng zusammengefasst und hing ihr in einem langen, dicken Zopf über den Rücken. Neben ihr lag auf einem zierlichen Säulensockel ein Helm, silberfarben, federgeschmückt, jede Feder ein Geschenk eines fliegenden, singenden Wesens in Anerkennung der Hoheit der Einhörner in Talunys.
    Jetzt erhob sie ihr Hornschwert, das sie in der Rechten hielt, und versuchte, sich Gehör zu verschaffen.
    » Es reicht nicht, Kerr-Dywwen zu bewachen! « , sagte sie etwas ärgerlich. » Talunys besteht nicht nur aus der Residenz. Und nicht nur der Hof ist in Gefahr. Wir mögen uns hier schützen, doch was ist mit jenen, die weiter entfernt leben? Was ist mit den Menschen in ihren Dörfern? Was mit den anderen Geschöpfen des Reiches? Wir sind Herrscher von Talunys; das verpflichtet uns, allen zu helfen. «
    » Es verpflichtet auch alle, uns zu helfen! « , rief Hre-Gorn von den Re-Hoyhn. Die Vornehmsten seiner Sippe gehörten zum Hofstaat, doch die eigentliche Heimat der Re-Hoyhn war der Hain von Hoyhn, ein offenes Waldgebiet im Osten des Landes, in dem die Sippe ein sehr naturverbundenes Leben führte. Da es dort nur wenige Menschen gab und die Re-Hoyhn es zudem nicht für notwendig erachtet hatten, allzu viele Bauten zu ihrem Schutz errichten zu lassen, waren sie nun auch besonders angreifbar.
    » Krieg ist ein kühnes Wort für einzelne Angriffe « , gab nun Hre-Hyron von den Re-Gyurim zu bedenken.
    » Es waren durchaus beachtliche Angriffe! « , widersprach Enygme. » Sie haben bereits Opfer gefordert. Edoryas wurde tot aufgefunden. Kanura … « Ihr versagte die Stimme.
    » Kanura ist von den Uruschge ins Wasser gezogen worden « , ergänzte Hra-Esteron. » Wir haben nicht deren Gabe, unter Wasser atmen zu können. Wir mögen das ultimative Ziel des Feindes noch nicht kennen, doch dass es sich um einen Feind handelt, der sowohl allein als auch in der Gruppe gegen uns vorgeht, kann nicht bezweifelt werden. Und als Feinde sind die Uruschge mehr als gefährlich. Sie sind uns an Kraft ebenbürtig, sie verfügen über ihre eigene Magie – und sie sind skrupellos! Wie, werter Hre-Hyron, wollt Ihr ihre Übergriffe nennen, wenn nicht Krieg? «
    Enygme hatte sich nun wieder gefasst, sie nickte zu den Worten ihres Mannes und sprach dann ruhig weiter.
    » Wir müssen alle Bewohner Talunys’ warnen – und mobilisieren. Jene, die einsam leben, sollen sich einer Gemeinschaft anschließen. Jene, die das Feld bestellen, sollen das nicht unbewacht tun. Und jene, deren Unschuld größer ist als ihr Denkvermögen, müssen sich auf unseren Schutz verlassen können. «
    » Soll das heißen, dass jene, deren Kampfkraft größer ist als ihr Denkvermögen wiederum zum gemeinsamen Kampf gerufen werden? Unter Eurer Führung, Hrya-Enygme? « , fragte Hyron und klang dabei so vorsichtig neutral, dass Esteron ihn am liebsten getreten hätte. Ihm war, als hätte Hyrons Stimme in der Pracht des Saales einen eigenen Klang, der sich durch die zierlichen Steinranken der Säulen schlich und saure Kritik an den Wänden herunterrinnen ließ. Doch es war sein Recht, eine andere Meinung zu vertreten.
    Ein Mensch meldete sich zu Wort.
    » Es ist lange her, dass meine Vorfahren hierherkamen « , sagte er. » Doch es ist überliefert, dass in der

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