Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
erneut aus. Weiche Nüstern stubsten dagegen. Sie genoss die Berührung, stand auf, stellte sich vor das riesige Wesen, fuhr mit der Hand durch die lange, schwarze Mähne.
Erschrocken fuhr sie zurück, als das riesige Pferd – und etwas anderes zu denken, war unendlich schwierig – stieg. Doch es griff sie nicht an – vielmehr stand plötzlich wieder Esteron in seiner menschlichen Form vor ihr, und dann auch Perjanu.
» Wir brauchen deine Hilfe, um in deiner Welt nach Kanura zu suchen « , sagte Esteron. » Wenn deine Tochter und mein Sohn sich getroffen haben, und nun beide verschwunden sind, sind sie möglicherweise immer noch zusammen. «
Zu dritt nahmen sie Platz auf der Bank.
» Normalerweise würde Una irgendwann anrufen « , sagte Irene. » Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es nicht wenigstens versuchen würde. Wenn das Handy kaputt wäre, würde sie eine andere Möglichkeit finden. Sie würde sich melden. «
» Mit dem kleinen Zauberding, das du vorhin in der Hand hattest? «
» Es ist kein Zauberding. Nur Technik. Habt ihr keine Technik dort, wo ihr herkommt? «
» Die Menschen bauen Dinge. Es ist ihr ureigenstes Talent. Doch wir haben keine solchen Vehikel, die sich ohne Zugtiere bewegen. Und dein Haus ist voller Sachen, die ich nicht erkenne. «
» Wenn man Magie beherrscht, sind die Errungenschaften der Technik eventuell nicht ganz so notwendig « , grübelte Irene. » Uns machen sie das Leben einfacher. Aber vielleicht ist euer Leben ja schon von vornherein einfach. «
Perjanu nickte. » Das war es zumindest. Es war einfach und friedlich. Die Traumwerker – unsere erfindungsreichen Menschen – haben einen Sinn für das Nützliche und das Ästhetische. Sie haben unsere Welt schöner gemacht, indem sie schöne Dinge gebaut haben. Und praktischer, in dem sie Nützliches hergestellt haben. Sie haben viele Dinge in unserem Reich eingeführt, die wir nicht mehr missen möchten. Zumeist nutzen sie diese mehr als wir. Wir sind sehr verschieden. Und es gibt nicht so viele Menschen bei uns. Nur ein paar hundert. Wie viele leben in deiner Welt? «
» Sieben Milliarden. Es ist eine große Welt, und sie ist ganz schön voll. «
Die beiden Einhörner schwiegen beeindruckt.
» Das ist keine Anzahl, die ich mir vorstellen kann « , sagte Perjanu schließlich. » Aber es ist kein Wunder, dass ihr so viele praktische Dinge habt, wenn es so viele Menschen gibt, die sie sich ausdenken. Jedenfalls brauchen wir dich, wenn wir in dieser großen Welt suchen wollen. «
» Wo sollen wir denn anfangen? « , fragte Irene.
» Es gibt drei Möglichkeiten « , überlegte Perjanu laut. » Sie sind in deiner Welt. Oder sie sind in unsere Welt hinübergewechselt. Oder … «
Er verstummte.
» Oder was? «
» Oder « , fuhr Esteron ernst fort, » die Uruschge haben sie … besiegt. «
» Uruschge? Wer sind diese Feinde, von denen ihr auch vorhin schon gesprochen habt? «
» Wasserpferde. Kelpies. «
Irene öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und schloss ihn dann wieder. Nach einer Weile sprach sie dennoch: » Vermutlich wäre es töricht zu behaupten, dass Kelpies nichts als Märchengestalten sind, während ich mich gerade mit zwei Einhörnern unterhalte. «
Esteron ergriff ihre Hand und drückte sie aufmunternd.
» Wir wissen nicht, welche Wesen in deiner Welt wirklich und welche Märchengestalten sind « , sagte Perjanu. » Ich kann dir nicht einmal beantworten, warum es mehr als eine Welt gibt. Auch nicht, ob es mehr als zwei gibt, deine und unsere. Die Menschen, die nach Talunys kamen, stammten aus deiner Welt. Sie kamen zu unterschiedlichen Zeiten und brachten unterschiedliches Wissen und unterschiedliche Vorstellungen mit. Doch seit Jahrhunderten kam niemand mehr. Die Verbindung zwischen den Welten ging verloren. Die Menschen, die jetzt bei uns leben, sind alle in Talunys geboren; sie gehören dorthin. Und ich denke, in den letzten Jahrhunderten dürften in deiner Welt nicht allzu viele Einhörner gesichtet worden sein. «
» Ihr seid ein Mythos. Ein schönes Märchen. «
» Wir waren nie lange genug in eurer Welt, um etwas anderes zu sein. Immer nur zu Besuch. Die Fähigkeit, die Welten zu wechseln, wie es uns beliebt, lag nie in unserer Macht. Wir fangen jetzt erst an zu begreifen, wer das ermöglicht haben mag. «
» Und wer war das? «
» Die Quellnymphen. «
» Quell…? «
» Auch nur Märchen in deiner Welt? «
Irene nickte.
» Sie sind verschwunden « , erklärte Esteron. » Nach dem
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