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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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sang einen anderen Text, doch der fügte sich wie fehlende Bausteine in eine Konstruktion, die vorher noch nicht ganz perfekt gewesen war und es nun wurde. Ihr Lied war wie eine Vereinigung.
    Ein Schauer nach dem anderen jagte Unas Rücken hinunter. Sie merkte kaum, dass sie das Lied noch einmal angefangen hatte. Ihr war schwindlig. Sie sah nur seine Augen, diese tiefbraunen Augen, deren Iris irgendwie zu groß war und die einen Weg zu seiner Seele aufbauten. Sein Blick schien das Lied aus ihr herauszusaugen, zusammen mit den Gefühlen, die sie darin verwob. Es war ein ebenso süßer wie schmerzhafter Vorgang.
    Dann fiel sie, spürte den Boden nicht mehr unter ihren Füßen, den kalten Stein nicht mehr an ihrer Schulter, trudelte und stürzte wie von einer Klippe immer tiefer in ein wirbelndes weißes Strahlen, das seine Arme nach ihr ausstreckte wie ein hungriger Kraken.
    Menschen, so begriff sie mit einem letzten trudelnden Gedanken, waren für dies absolut nicht geschaffen.
    Sie erwachte in seinen Armen, den Kopf an seiner Schulter. Er summte. Er tat es allein, ohne ihre Harmonie. Alles drehte sich in ihr, doch seine Stimme legte sich wie Balsam um ihre bebende Seele. Und seine sie umschließenden Arme waren willkommen. Beinahe waren sie ein Heim, worin man sich wohlfühlen konnte. Diese starken Arme.
    » Una « , flüsterte er, als sein Gesang verklungen war. » Wie geht es dir? «
    Sie räusperte sich. Irgendwas war mit ihrer Nase. Sie fühlte sich verstopft an. Una schniefte.
    » Du hattest Nasenbluten « , erklärte er. » Aber es ist schon vorbei. Es war zu anstrengend für dich. Ich hätte das nie tun dürfen. Ich bin verantwortlich für dich. Ich sollte mich nicht deiner bedienen. Es ist verwerflich. «
    Sie verstand nicht, was er meinte.
    » Geht es dir denn besser? « , fragte sie.
    » O ja. Vielen Dank. Du und dein Lied habt mir sehr geholfen. Leider auf deine Kosten. «
    » Was meinst du damit? Hast du irgendwas Magisches gemacht? «
    » Das, was ihr Magie nennt, ist nichts anderes als Energie, die man einsetzt und umsetzt. Diese Energie kann der eigenen Kraft entspringen oder der Kraft der Welt. Auch dem Schönen, dem, was die Welt vollkommener macht, der Musik zum Beispiel. Ein guter Barde erschafft mehr als nur Klänge. Er erzeugt Seelenenergie. Du bist eine sehr gute Bardin. Deine Musik weiß sich über die Wirklichkeit zu spannen wie ein Regenbogen. « Kanura schwieg kurz, dann schob er Una ein Stückchen von sich und sah ihr fest in die Augen. » Und ich habe die Macht, diese Energie zu nutzen. «
    » Weil du ein Einhorn bist « , flüsterte sie.
    » Ja. Aber das Problem ist, dass du nur ein Mensch bist. So viel Intensität ist schwer für dich aufrechtzuerhalten. Ich habe dir Energie genommen. Das war nicht richtig. Es ist ein Unterschied zwischen nutzen und ausbeuten. «
    » Du hast das aber doch gebraucht « , sagte sie.
    » Das gibt mir noch lange nicht das Recht dazu. «
    » Du hast es doch an der Quelle schon einmal getan! «
    » Aber in viel geringerem Umfang. Eine blutende Wunde zu heilen ist einfacher, als eine blutende Seele zu behandeln. Und die Schönheit eines Liedes zu nehmen, ist etwas anderes, als den Barden direkt … anzugehen. Die Musik an sich sollte mir Kraft geben, ohne dass ich mich an dem Musiker vergreife. «
    Sie blickte an ihm hinunter, dann in sein Gesicht. Von seinen Verwundungen waren nur noch kleine Narben zu sehen.
    » Ich habe es freiwillig getan « , sagte sie. » Und es scheint ja irgendwie funktioniert zu haben. «
    Er stand auf und zog sie mit auf die Füße, ließ ihre Hände aber nicht los.
    » Kannst du stehen? « , fragte er besorgt.
    Una nickte. Dann schob sie ihre Jacke, das Shirt und die beiden Papiertaschentücher beiseite. Der Schnitt in ihrer Schulter war weitgehend verheilt. Auch ihre Knie taten nicht mehr so weh. Doch sie war müde, fühlte sich wie nach einer durchfeierten Nacht bleiern und schwer. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie sich nicht schon vorher so gefühlt hatte. Schließlich war die letzte Nacht ziemlich fürchterlich gewesen, und der Tag war keinesfalls besser geworden.
    » Du hast auch mich geheilt « , sagte sie.
    » Kleine Wunden sind kein Problem. «
    Einige Augenblicke standen sie einfach nur voreinander.
    » Was hast du gemeint, als du dich als verkrüppeltes Einhorn bezeichnet hast? « , fragte Una. » Und wieso braucht es Mut, dir in die Augen zu sehen? «
    » Weil mein Blick dich halten kann, wie er es getan hat.

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