Die Quellen Des Bösen
ihren Spuk beenden, bevor ich meinen Verstand verliere?«
Håntra betrachtete ihn mit Mitleid. »Oh, ich verstehe. Und nun seid Ihr wütend auf mich, weil ich ihre Schwester bin?«
»Nein, ich bin wütend, weil ich mich nicht getraut habe, dich anzusprechen.«
»Jetzt hat es aber funktioniert, oder?«, wies sie ihn liebenswürdig darauf hin. »Ich muss Euch enttäuschen, aber ich kann Euch nicht weiter helfen.«
»Du wirst müssen«, knurrte der einstige Leibwächter. »Was ist zu tun?«
Håntras Blick wanderte langsam zur Hand des Mannes, die ihren Arm gepackt hielt. »Als Erstes nehmt Ihr Eure Finger weg, bevor Ihr mir mit Eurer Kraft den Knochen brecht«, sagte sie freundlich, aber kühl. Überschnell kam der Krieger ihrer Aufforderung nach und spürte eine Hitze, die in seinen Wangen aufstieg. »Danke.« Ihre Hand legte sich an seine Stirn. »Euer Antlitz ist ein wenig gerötet. Hattet Ihr schon mehrmals Fieber oder wallende Schwüle? Das sind die ersten Anzeichen, dass sie Euren Verstand schädigt.«
»Nein«, antwortete er mürrisch.
»Gut, wenigstens etwas. Nun solltet Ihr Euch daran machen, den Spuk zu erlösen«, riet sie ihm. »Findet und überführt ihren Mörder, was haltet Ihr davon? Mir ist es nicht gelungen.«
Waljakov zog die Nase geräuschvoll hoch. »Wenn das so einfach wäre, würde sie vermutlich nicht mehr als Geist durch die Gegend ziehen und Menschen töten.«
Die Priesterin senkte den Kopf. »Sie ist gewiss nicht glücklich dabei. Vergesst nicht, sie wurde umgebracht. Ist Rache aus Enttäuschung und Seelenleid nicht verständlich?«
»Dann sag ihr, sie soll ihren Mörder der Geisteskraft berauben, nicht mich.« Seine brummigen Züge hellten sich auf. »Aber natürlich! Jetzt müssen wir nur noch den Mörder dazu bringen, an den Turm zu kommen. Notfalls prügele ich ihn auch an diesen Ort.«
Håntra wirkte ein wenig von seiner Zuversicht angesteckt. »Sehr gut, Eisblick.«
»Mein Name ist Waljakov«, stellte er richtig. »Hast du irgendwelche Hinweise? Vielleicht ihr Tagebuch von damals?«
Die Schwester der Ermordeten nickte nach einer Weile. »Ja, ich müsste es noch besitzen. Kommt morgen im Heiligtum der Kalisstra vorbei und begleitet mich nach Hause. Wir suchen gemeinsam.« Håntra drückte seine Hand und kehrte an den Tisch zu ihren Gleichgesinnten zurück.
Waljakov schaute ihr hinterher. Sie ist sehr nett. Für eine Frau. Sein Blick schweifte von ihr zu Matuc.
Der Geistliche feixte und hob das Glas in seine Richtung. Die anderen Priesterinnen schauten auch zu ihm.
In wenigen Stunden werde ich Stadtgespräch sein, dachte er kapitulierend. Eisblick und Håntra. Besser kann es für Kalisstra gar nicht kommen. Er steuerte mit finsterer Miene auf den Bratspieß zu und verlangte seinen Teller, den er ohne Widerspruch erhielt, sogar doppelt so hoch beladen wie zuvor. Dann begab er sich zurück an seinen Platz.
»Kein Wort«, sagte er drohend zu Matuc und widmete sich dem Essen. »Alles, was du annimmst, ist falsch.«
»Natürlich.« Der Mönch nippte an seinem Wein und dachte sich seinen Teil.
In Waljakov aber keimte die Zuversicht auf, dem drohenden Schicksal eines Dorfnarren zu entgehen. Wenn er Hinweise fand und sie richtig deutete.
Unbewusst suchte er Håntras Gesicht im Gewühl der Gäste. Als er es entdeckte, stellte sich ein Gefühl bei ihm ein, das er bisher nur ganz selten in seinem Leben empfunden hatte.
Lorin blieb stehen und schaute über die Schulter nach hinten. »Du bist mir eine schöne Hilfe. Das wievielte Mal ist dir nun die Fackel verloschen?«
»Ich bin ein Geschichtenerzähler, kein Held, auch wenn von denen Tausende in meinen Sagen und Legenden vorkommen«, erklärte Arnarvaten ein wenig verschnupft und hielt das rußgeschwärzte Ende gegen Lorins Fackel. »Ich bin mir sicher, dass sie mir eine Fackel gegeben haben, die beim leisesten Windstoß verlischt, um uns die Suche zu erschweren.« Ein wenig besorgt blickte er sich um. »Finden wir denn wieder zurück?«
»Der Trampelpfad, den die Entführer und wir im Wald hinterlassen haben, ist kaum zu übersehen«, beruhigte ihn Lorin. »Es sei denn, ein Schwarzwolf frisst uns.«
Arnarvaten schloss kurz die Augen und richtete wahrscheinlich ein stilles Stoßgebet an die Bleiche Göttin. Sie setzten ihren Weg auf den Spuren der Entführer fort.
»Hast du gesehen, wer zu der Bande gehört, wegen der wir nun unsere Frauen suchen müssen?«, erkundigte sich der Geschichtenerzähler.
»Es ist niemand dabei,
Weitere Kostenlose Bücher