Die Quellen Des Bösen
Einen Blick in den Spiegel zu werfen wagte sie nicht mehr.
Die weit über zweihundert Gäste versammelten sich an einem Ort, den die meisten aus Sagen kannten und den sie früher auch schon bei gelegentlichen Spaziergängen besucht hatten, der aber noch niemals so ausgesehen hatte, wie er sich ihnen nun präsentierte.
Lorin und Arnarvaten hatten die Hochzeitsgesellschaft zu der Lichtung im Wald vor Bardhasdronda bestellt, auf der sich die seltsamen halbrunden, unterschiedlich hohen Steine befanden, denen man rätselhafte Kräfte zusprach. Kaum einer wunderte sich darüber, dass deren Oberfläche blank war.
Die lauschige Stelle fanden alle als sehr passend. Trotz der sommerlichen Temperaturen herrschte ein kühles Lüftchen im Wald, die Bäume spendeten zusätzlichen Schatten.
Lange Tischreihen waren in U-Form aufgebaut worden, an denen man sich später niederlassen würde. An verschiedenen Feuerstellen drehten sich die Bratspieße und garten andere Gerichte vor sich hin.
Die Aufmerksamkeit der Anwesenden ruhte auf den beiden Brautpaaren, die Hand in Hand vor den Klingenden Steinen standen und den Segen Kalisstras durch die Hohepriesterin Kiurikka empfingen.
Die Oberste der Gemeinde der Bleichen Göttin nutzte die Gelegenheit, um in vollem Ornat sowie mit all ihren Priesterinnen und Aspirantinnen zu erscheinen und die Segnung so eindrucksvoll wie möglich zu gestalten. Wer in der Nähe Waljakovs stand und sich sehr bemühte, konnte ein gemurrtes »Brimborium« verstehen.
Matuc gönnte Kiurikka den Auftritt und überließ ihr sogar den Vortritt, um keinen unsinnigen Zwist an dem vermutlich schönsten Tag im Leben seines Ziehsohnes heraufzubeschwören. Er wusste, dass er in der Stadt mehr Akzeptanz auf seiner Seite hatte, als es der Hohepriesterin lieb war oder sie zugeben würde.
Genugtuung verschaffte ihm auch der Umstand, dass die Hochzeitsgesellschaft in Gänze an dem Grundmauerwerk des angehenden Ulldrael-Tempels entlanggehen musste.
Voller Inbrunst gewährte er den Paaren seinen Segen, umarmte Lorin und musste sich tatsächlich ein paar Tränen der Rührung aus den Augenwinkeln wischen.
Anschließend gab es keine Rettung mehr für die frisch gebackenen Eheleute. Sie mussten Hände schütteln, bis Lorin glaubte, seine Finger würden taub.
Danach standen die symbolischen Dinge an, auf die sich die schadenfrohen Besucher am allermeisten freuten.
Die Jungehemänner mussten in Wannen mit Eiswasser steigen und so lange darin verharren, wie sie konnten. Anschließend kam es den Gattinnen zu, ihre Anvertrauten warm zu reiben, danach wurde die Prozedur umgedreht. Allerdings begnügten sich die Damen mit einem schnellen Sprung ins eisige Nass. Es sollte zeigen, wie sehr man sich auf den anderen in Gefahrensituationen verlassen konnte, schließlich war der Sturz ins kalte Wasser keine Seltenheit.
Arnarvaten und Lorin mussten schließlich ein Feuer so rasch wie möglich in Gang setzen, Fatja und Jarevrån schuppten Fische um die Wette ab, alles Tätigkeiten, die in Kalisstron zum Überleben notwendig waren beziehungsweise zum alltäglichen Leben gehörten.
Endlich hatten die Paare die Prüfungen überstanden, die eigentliche Feier konnte beginnen. Etwas erschöpft, aber immer noch selig, saßen die vier Vermählten an ihren Plätzen und prosteten den Gästen zu, danach wurde die Tafel eröffnet.
»Ich bin so glücklich«, wisperte Lorin Jarevrån ins Ohr, stahl sich einen Kuss und betrachtete die Kalisstronin von der Seite. »Du bist wunderschön.«
»Das sagen alle Ehemänner am Anfang, würde Stápa vermutlich meinen«, lächelte seine Frau. »Sie hätte sich sicher gefreut, uns so zu sehen.«
»Ob sie von Anfang an gewusst hat, dass wir zueinander finden?«
»Sie wird es gespürt haben. Frauen haben im Gegensatz zu den Männern einen Sinn für so etwas«, meinte die Kalisstronin frech. Dann nickte sie in Richtung einer kleinen Gruppe von Gästen, die sich in den nahen Waldrand zurückzog. »Schau, sie treffen die Vorbereitungen für die Brautentführung.«
Lorin überlegte, ob er hinterher schleichen und die Männer vorab ausschalten sollte, um sich die Verfolgungsjagd und das Scheingefecht zu ersparen, das von den Gatten bei der heldenmutigen Befreiung erwartet wurde. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Waljakov die Geschehnisse mitbekam.
»Große Güte, haben wir den griesgrämigen Türmler darüber aufgeklärt, dass es keine echten Entführer sind?«, durchzuckte es ihn. »Er würde vermutlich ein
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