Die Quellen Des Bösen
seine Schulter.
»Belkala?«, raunte er hoffnungsvoll und wandte sich um, nur um in die blauen Augen seines Adoptivsohnes zu blicken. Ein wattierter Waffenrock umgab seinen Körper, ein Schwert baumelte an seiner Seite.
»Nein, Vater«, antwortete er mitleidig und drückte ihm sanft den Oberarm. Er wusste um das Leid Nerestros. »Ich sah dich hier stehen und dachte, du brauchst vielleicht …«
Der Großmeister schüttelte sachte das rasierte Haupt, auf dem nur obenauf fingerkuppenlange, braune Haarstummel standen, die übliche Haartracht der Ritter. »Nein, Tokaro von Kuraschka.« Sein Gesicht wurde freundlich. »Aber ich sehe einmal mehr, ich habe mich in deinem guten Wesen nicht getäuscht, als ich dich damals auf der Straße verschonte. Danke mir nicht für meine Milde.« Er bemerkte den etwas bangen Ausdruck des angehenden Ritters. »Du hast Angst davor, in die Mauern zurückzukehren, aus denen man dich mit Schimpf und Schande warf, habe ich Recht?«
Tokaros Wangenmuskeln arbeiteten. »Nein, nicht direkt Angst«, entgegnete er stockend. »Doch was, wenn man mich erkennt?«
»Den Sohn Nerestros von Kuraschka?«
»Ich meine Tokaro Balasy, den Stallburschen. Den Rennreiter des Kabcar. Den Dieb und Gebrandmarkten«, verbesserte der junge Mann den Ordenskrieger.
»Ihn gibt es nicht mehr«, fiel ihm Nerestro hart ins Wort. »Ich habe ihn damals auf eigenen Wunsch getötet und seine Leiche im Straßengraben verfaulen lassen. Balasy wurde von den Füchsen und Raben gefressen. Und jeder, der etwas anderes behauptet, wird sich im Zweikampf mit mir messen müssen.« Stolz reckte er sich auf. »Du hast dich während der Ausbildung sehr verändert, Tokaro. Du bist männlicher geworden.« Spielerisch fasste er seinem Adoptivsohn ans Kinn. »Und viel kantiger als vorher, ein echtes Rittergesicht. Ein Heldenantlitz, in dem keiner in Ulsar deine Vergangenheit ablesen wird.«
Tokaro grinste. »Ich glaube, ich wollte das nur noch einmal hören. Du verstehst meine Vorbehalte? Ich will nicht der Grund sein, weshalb ein schlechtes Licht auf den Orden der Hohen Schwerter fällt.«
»Gibt es denn noch Licht in Tarpol?«, meinte Nerestro und wies nach oben. »Dieses Licht jedenfalls ist so schlecht, dass dein Makel wie reines Weiß wirkt.« Er schlug ihm auf die breiter gewordene Schulter. »Los, bring deinen alten Vater in sein Zelt.«
Zusammen kehrten sie zur Unterkunft des Großmeisters zurück. »Fühlst du dich bereit, einen weiteren Schritt zu tun?«, fragte der Ritter seinen Sohn vieldeutig.
»Wie meinst du das?« Verwundert schaute Tokaro ihn an.
»Wie wäre es, wenn du nach Abschluss des Turniers die Schwertleite erhältst? Albugast und du, ihr seid die fähigsten Anwärter, die ich seit der Zeit des Neuaufbaus gesehen habe.« Etwas vorwurfsvoll pochte er Tokaro gegen die Brust. »Auch wenn er dir im Zweikampf in Stil und Technik am Boden überlegen ist, einen besseren Reiter als dich gab es, soweit ich mich zu erinnern im Stande bin, niemals in unserem Orden.«
»Ich verdiene die Ehre nicht. Noch nicht. Aber es wäre mehr als rechtens, an Albugast die Erhebung in den Ritterstand zu vollziehen«, unterbreitete Tokaro seinen Gegenvorschlag. »Er fühlt sich vom Großmeister zurückgesetzt und falsch behandelt, wenn ich seine Blicke, die er mir und dir zuwirft, richtig einordne.«
»Herodin berichtete Ähnliches«, bestätigte Nerestro, während sie ins Innere des Zeltes traten, wo die Knappen sofort herbeieilten, um ihm die Rüstung abzunehmen. Diesen Luxus gönnte sich der Großmeister gern, auch wenn er dank der Konstruktionsweise selbst aus dem Metallpanzer gekommen wäre.
»Und deshalb bin ich mir bei ihm nicht sicher. Vielleicht benötigt er noch eine Weile, bis er erstens zur Vernunft und zweitens zur Einsicht kommt, dass zu viel Ehrgeiz schädlich ist.« Ein wohliges Seufzen entfuhr ihm, als die schweren Stiefel von seinen Füßen entfernt wurden. »Du wirst als Erster Ordensritter«, verkündete er seinen Entschluss. »Deine Haltung ist die bessere.«
»Aber …«, versuchte Tokaro zu protestieren, auch wenn sein Innerstes laut jubelte. Wenn mir einer vor einem Jahr gesagt hätte, dass ich freiwillig den Ritterschlag entgegennehmen würde, hätte ich ihm eine Büchsenkugel zwischen die Lichter gesetzt . Der Großmeister hob die Hand, die Unterredung war für ihn beendet. »Ich bin müde, und übermorgen steht der Einzug in Ulsar an. Wir werden alle unsere Sinne benötigen, um die Schlingen zu erkennen,
Weitere Kostenlose Bücher