Die Quellen Des Bösen
auf. »So wachsam, wie du gegenüber Tokaro warst, so wachsam werde ich von nun an dir gegenüber sein. Sollte ich entdecken, dass du irgendetwas mit Mortva Nesreca zu schaffen hast, wirst du ebenso aus unserer Gemeinschaft verstoßen.« Abrupt machte er kehrt und ging in sein Zelt. »Tokaro, ich will dich gleich sprechen.« Sein Adoptivsohn nickte und lief zu seiner eigenen Unterkunft.
Und so sah keiner der beiden das selbstzufriedene Grinsen, das langsam in Albugasts Gesicht entstand.
Als Tokaro das Zelt des Großmeisters betrat, saß Nerestro auf einem Feldstuhl, eine Hand lag locker auf der Lehne, die andere fasste den Griff der aldoreelischen Klinge, die mit der Spitze voran senkrecht zum Boden stand.
Im Licht der Lampen und Kerzen bot sein Adoptivvater eine eindrucksvolle Erscheinung, die schimmernde, gravierte Vollrüstung, das markante Gesicht mit der langen, goldenen Bartsträhne und die vielen glitzernden Diamanten an der Waffe fesselten Tokaros Blick.
»Ziehen wir heute Nacht schon los?«, wunderte er sich über das Bild, das ihm der Großmeister bot.
»Nein. Es ist Zeit für das Andenken, von dem ich vorhin sprach«, erwiderte der Ritter ernst. Er stemmte sich aus seinem Sitz. »Knie nieder, Tokaro von Kuraschka, und empfange das, was dir gebührt.« Mit einem leisen Geräusch glitt die aldoreelische Klinge aus ihrer Hülle, schoss herab und verringerte im letzten Moment die Geschwindigkeit. Beinahe unmerklich tippte die Spitze auf die rechte Schulter des Jungen.
»Hiermit schlage ich dich zum Ritter des Gottes Angor, Tokaro. Wo immer du sein wirst, Angor wird dich beschützen, solange du dich an die Regeln hältst, denen du verpflichtet bist. Auch ohne Orden.« Das Ende der Waffe senkte sich auf die andere Schulter nieder. Dann verstaute er das Schwert in der Scheide und bedeutete dem überwältigten Jungen, sich zu erheben.
»Eines Tages wirst du eine wichtige Aufgabe übernehmen, mein Sohn. Rodmor von Pandroc hat es mir gesagt. Er und die anderen Krieger sind sich da sehr sicher. Und wenn du sie erfüllst, sollst du sie mit der Hilfe und im Namen Angors bewältigen. Als ein Ritter, und nicht als ein Knappe, dem die Schwertleite wegen unbedeutender Dinge versagt werden musste.«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, gestand Tokaro ein, der sich der Ehre sehr wohl bewusst war.
»Es ist nicht notwendig, dass du etwas sagst«, meinte der Großmeister, dem die Rührung deutlich anzusehen war. »Du wirst immer mein Sohn und der Erbe all meiner Besitztümer bleiben, ganz gleich, was kommen mag. Die Zeiten werden sich, nicht zuletzt dank deines Eingreifens, wieder ändern, wie mir Rodmor versicherte. Das lässt mich mit einem guten Gefühl zurück.« Er breitete die Arme aus und umarmte Tokaro. »Auch wenn ich nur kurze Zeit dein Vater war, ich vermisse dich vom Grunde meines Herzens.«
Ein dicker Kloß steckte dem jungen Mann im Hals. »Ich verdanke dir mehr, als ich auszudrücken vermag«, sagte er mit erstickter Stimme. Tränen rannen über seine Wangen. »Ich werde Angor und dir alle Ehre machen.«
Sie lösten sich und betrachteten einander.
»Ich habe noch etwas für dich, Sohn.« Nerestro zog die aldoreelische Klinge ein weiteres Mal und küsste die Blutrinne feierlich. Dann hielt er sie Tokaro mit dem wundervoll gearbeiteten Heft voraus hin.
»Für mich?«, staunte der junge Ritter mit großen Augen und umfasste ehrfürchtig den Griff.
»Ich kenne niemanden, der würdiger wäre.« Der Großmeister zwinkerte. »Außer Herodin, aber der hat schon eine. Danke mir also nicht für meine Milde.« Während Tokaro die Waffe noch betrachtete, ritzte Nerestro ihm mit der Klinge den Handrücken ein wenig an, sodass Blut auf die Schneide rann. »Verreibe es auf dem Griff, damit sie weiß, dass sie einen neuen Herrn hat«, wies er ihn an. »Nur so leistet sie dir treue Dienste.«
Tokaro kam der Aufforderung nach. Nun bin ich ein echter Ritter , dachte er voller Freude, die sogar die Trauer über den Abschied ein wenig milderte. Dennoch wäre ich lieber hier geblieben. Er berührte die längliche Vertiefung in der Mitte der flachen Schwertseite mit den Lippen und verstaute die Klinge sodann in der Hülle.
»Und nun reite«, verabschiedete ihn der Großmeister. »Nutze die Nacht, denn ich fürchte, Albugast hat sich noch ganz andere Dinge ausgedacht, um dich zu vernichten. Dass sein Stolz und sein Ehrgeiz so unersättlich sind, hätte ich niemals für möglich gehalten. Ich muss blind gewesen sein,
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