Die Rache
Schüsse
ab. Der erste ging weit daneben, doch der zweite schoss so dicht über Dantes Kopf hinweg, dass er es pfeifen hörte, bevor die Kugel irgendwo zwischen Büschen und Blättern einschlug. Dann folgten keine weiteren Schüsse mehr und Dante begriff, dass der Commander keine Munition mehr hatte. Es war Felicitys Pistole, und selbst wenn es ein Reservemagazin gab, so hatte es der Commander nicht.
Dante erreichte das Ende des Gartens, duckte sich unter dem Lattenzaun hindurch und begann, über das Brachfeld einer Nachbarfarm zu laufen.
»Bitte, Holly«, flehte Dante und streichelte seiner strampelnden Schwester über den Kopf. »Du musst leise sein!«
Sie blutete. Entsetzt dachte er daran, dass seine Mutter ihn immer ermahnt hatte, niemals Hollys Kopf zu berühren oder gar zu stoÃen, weil Babyköpfe so empfindlich seien. Hatte er ihr vielleicht einen Hirnschaden zugefügt, als sie die Wand gestreift hatte?
Auf dem matschigen Boden, ohne Schuhe und mit Holly im Arm kam Dante nur sehr langsam voran. Er wusste, dass er es nie schaffen würde, über die drei Felder bis zum Haus des Zwiebelfarmers Norman zu laufen â der Commander würde ihn locker einholen.
Von klein auf hatte Dante auf diesen Feldern gespielt und kannte jede Menge gute Verstecke, doch die nutzten ihm gar nichts, solange Holly aus Leibeskräften brüllte. Er spielte mit dem Gedanken, Holly hier zurückzulassen und Hilfe zu holen. Ein Baby war kein
brauchbarer Zeuge, also gab es auch keinen Grund für den Commander, Holly umzubringen. Aber der Commander war wütend und brauchte vielleicht gar keinen Grund, oder vielleicht würde er Holly auch einfach als Geisel nehmen.
Am liebsten hätte sich Dante auf den Boden geworfen und geweint. Er hatte gesehen, wie seine Mutter, sein Vater, sein Bruder gestorben waren, er hatte gehört, wie seine Schwester gestorben war, vielleicht war der Tod auch für ihn die beste Lösung. Aber andererseits war er fest entschlossen, den Commander nicht gewinnen zu lassen.
»Scht«, schniefte er, blieb stehen und duckte sich hinter einen Busch, um Holly sanft zu wiegen, damit sie sich beruhigte. Im Mondlicht sah er, wie sein Atem sich in der Luft kräuselte und seine Socken im Matsch versanken.
Und dann hatte er plötzlich einen genialen Einfall. Er wischte seinen kleinen Finger an seinen Pyjamahosen ab, dort, wo sie am wenigsten verdreckt waren, und stecke ihn Holly sanft in den Mund. Holly bekam gerade Zähne und biss so fest zu, dass er normalerweise aufgeschrien hätte, aber er unterdrückte den Schrei und stellte erleichtert fest, dass Hollys Gebrüll in ein leises, zufriedenes Gurgeln überging. Sie zappelte auch nicht mehr so stark, sodass er sie besser halten konnte.
Dante sah, wie der Commander in den Garten kam, rasch mit einer Taschenlampe herumleuchtete und den
Busch, hinter dem sich Dante versteckte, in einen Lichtkegel tauchte. Dann blieb der Commander stehen und zog ein Handy hervor.
»Nein, hier ist nicht Scotty«, meldete er sich. »Ich binâ²s ⦠Ich kann mein eigenes Handy nicht benutzen ⦠Halt den Mund und hör zu. Hier bei Scotty ist eine Riesenschweinerei passiert. Du musst mit Benzin herkommen. Wir müssen alles niederbrennen ⦠Keine Einzelheiten am Telefon, tu einfach, was ich sage! Ich muss diesen verfluchten Jungen finden, bevor er den Mund aufmachen kann. Hol das Benzin und komm so schnell wie möglich her!«
Während der Commander Scottys Handy in seiner Lederjacke verstaute, ratterten Dantes Gedanken. Eine Flucht über die Zwiebelfelder war unmöglich, der Lichtstrahl der Taschenlampe würde ihn sofort einfangen. Vielleicht schaffte er es unbemerkt bis zur StraÃe, aber in dieser Gegend hier waren die StraÃen nachts menschenleer. Und mit Holly würde er auch nicht weit kommen. Wahrscheinlich würde er als Erstes demjenigen in die Arme laufen, mit dem der Commander gerade telefoniert hatte.
Er überlegte, ob er sich ins Haus zurückschleichen sollte, um die Polizei zu rufen, aber wenn er dabei gesehen wurde, saà er in der Falle. AuÃerdem hatte er gar keinen Schlüssel und konnte nur durch die Hintertür hinein â und genau da stand der Commander.
Dante hatte nur eine Chance: Er musste sich eines der Fahrräder schnappen. Sein eigenes BMX-Rad nutzte
ihm allerdings nichts, denn damit konnte er nicht schnell fahren und gleichzeitig
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