Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
Ambros«, sagte die Medica sanft.
»Aber … aber so kann ich doch kein König sein!«, erwiderte er, sah an sich hinunter und zupfte an seinem wollenen Kittel und den Beinkleidern, die ihre besten Zeiten schon lange hinter sich hatten.
»Nein, natürlich nicht«, stimmte die Medica zu. »Du bekommst die schönsten Kleider, Schuhe aus Leder, einen Umhang mit Pelzen, du schläfst in einem Federbett, trinkst aus silbernen Bechern – alles, was du dir vorstellen kannst und darüber hinaus.«
Jetzt schien Ambros zum ersten Mal über die Möglichkeit nachzudenken, wie das wohl wäre; jedenfalls zog er seine Stirn in Falten.
»Muss ich dann nicht mehr Wache schieben?«, fragte er vorsichtig.
»Nein, natürlich nicht. Für so was Gewöhnliches hat ein König keine Zeit. Er hat Wichtigeres zu tun. Außerdem ist das unter seiner Würde.«
»Und was ist mit meinen Tieren? Darf ich dann auch im Sommer nicht mehr mit ihnen auf die Weide?«
»Aber natürlich darfst du das. König bist du nur für ein paar Tage. Danach kannst du wieder alles machen wie bisher. Du kehrst zurück und bist wieder Hütejunge, ganz wie es dir gefällt.«
»Nur dass du dann ein wohlhabender Hütejunge bist«, fügte Chassim hinzu. »Mit einer Herde, die nur dir gehört.«
»Ich soll eine eigene Herde bekommen? Ich?« Ambros konnte es nicht glauben.
»Ja, du. Als Belohnung für dich, wenn du deine Sache gut machst und dir alle Mühe gibst.«
Ambros’ Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Ihr macht Euch lustig über mich.«
»Nein. Dies ist eine sehr ernste Angelegenheit, glaub mir«, sagte die Medica. »Kein Mensch macht sich lustig über dich.«
»Aber warum? Warum ausgerechnet ich?«, fragte Ambros erneut. Diesmal schon wesentlich forscher.
Die Medica stand auf und sah ins Kaminfeuer. Ihre Stimme war auf einmal hart geworden. »Weil du unserem König gleichst wie ein Ei dem anderen.«
Sie wandte sich Ambros zu, ihr Blick war von einer beschwörenden Eindringlichkeit, wie sie Ambros noch nie bei einem Menschen gesehen hatte, als sie sprach. »Man könnte meinen, ihr seid Zwillinge, Ambros. Du und Konrad von Hohenstaufen. Der König ist aber sehr krank. Ich war bei ihm, ich habe ihn behandelt. Doch er muss sich beim Hoftag zeigen, der heiligen Messe beiwohnen, eine Rede halten, Edelleute empfangen. Dazu ist er aber viel zu schwach. Und das ruft seine Gegner auf den Plan. Wenn er nicht auftritt, wird es heißen, er ist nicht in der Lage, seine Pflichten zu erfüllen. Man wird einen anderen zum König ausrufen. Das könnte dazu führen, dass das Reich gespalten wird und dass es Krieg gibt.«
Die Medica hatte auf einmal wie zu einem Erwachsenen mit ihm geredet, einem Ebenbürtigen, das war Ambros aufgefallen. Sie sah ihn prüfend an und ließ ihre Worte wirken. Sie wusste nicht, ob er alles verstanden hatte, vor allem nicht die Konsequenzen einer Absenz des Königs. Sie und die beiden Grafen warteten auf eine Reaktion von Ambros. Der befeuchtete die trockenen Lippen mit seiner Zunge, dann sagte er mit der ganzen Ernsthaftigkeit, die ihm zur Verfügung stand: »Krieg ist schlimm. Ich will nicht, dass es einen Krieg gibt. In einem Krieg sterben viele Menschen. Wie bei einer Seuche. Meine Eltern sind am Schweißfieber gestorben. Ich kenne sie nicht einmal. Ich war viel zu klein damals. Vielleicht drei oder vier Jahre alt. Ich habe keine Erinnerung an sie. Das macht mich manchmal traurig.«
»Ich kannte deine Eltern«, sagte der alte Graf. »Sie waren mir treu ergeben. Aber am Schweißfieber sind damals viele Menschen gestorben.«
Die Medica nickte. »Auch meine Mutter starb daran.«
»Hat der König noch Eltern? Wie alt ist er?«, wollte Ambros wissen.
»Er ist in deinem Alter. Sein Vater ist der Kaiser, Friedrich II ., er lebt im fernen Pülle. Seine Mutter war Isabella von Brienne, die Königin von Jerusalem, die zweite Ehefrau des Kaisers. Sie ist bei der Geburt gestorben.«
»Kann ich ihn sehen? Den König, meine ich.«
»Du wirst ihn sehen.«
»Wird er wieder gesund?«
»Wir hoffen es inständig. Sobald er wieder bei Kräften ist, kannst du wieder hierher kommen und weiterleben, als sei nichts geschehen. Glaub mir, in einem Jahr wirst du meinen, es sei alles nur ein Traum gewesen.«
»Und wenn der König stirbt?«
»Dann ist alles verloren. Dann bringt es auch nichts mehr, dass du vorgibst, der König zu sein.«
»Wie lange, sagt Ihr, muss ich König sein?«
»Drei oder vier Tage, das ist alles.«
»Das ist eine ganz
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