Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
schön lange Zeit«, stöhnte Ambros und bewies zum ersten Mal, dass er doch nicht ganz so begriffsstutzig war, wie er sich zuweilen gab.
»Ja«, sagte Chassim ernst. »Und du wirst bis zu deinem ersten Auftritt eine Menge zu lernen haben. Wie du dich zu benehmen hast, wie du zu reden hast, wie du gehst, wie du dich kleidest, wie du isst … All das und noch viel mehr werden wir dir beibringen. Du brauchst keine Angst zu haben, dass du etwas falsch machen kannst. Graf Georg von Landskron, mein Schwager, und ich werden immer an deiner Seite sein und dir helfen, wenn du in Schwierigkeiten gerätst, weil du vielleicht irgendeine Frage nicht beantworten kannst oder dich falsch benimmst.«
Ambros nickte, dann stand er auf. »Ich will es versuchen. Was ist, wenn es herauskommt – wenn jemand erkennt, dass ich nicht der echte König bin?«
»Die Wahrscheinlichkeit ist gering. Die meisten Anwesenden haben den König nie gesehen, oder nur aus der Ferne. Außerdem bist du in einem Alter, in dem man sich innerhalb eines Jahres schnell verändert. Des Königs engste Vertraute – seinen Kammerdiener oder seinen Leibmedicus zum Beispiel – werden wir gezwungenermaßen einweihen. Ansonsten müssen wir eben zusehen, dass dein wahres Ich nicht bekannt wird. Das darf einfach nicht passieren«, sagte die Medica und erhob sich ebenfalls. Sie wirkte trotz der schweren Aufgabe, die noch vor ihnen lag, erleichtert, dass Ambros bereit war, die Rolle des Königs zu übernehmen. Anna legte ihre Hände auf seine Schultern. »Du hast eine große Verantwortung. Es wird nicht leicht werden. Aber ich bin davon überzeugt, zusammen schaffen wir es. Du bist ein starker und kluger Junge, Ambros. Danke für dein Vertrauen, wir stehen in deiner Schuld.«
Dann küsste sie ihn auf die schmutzige Stirn.
So etwas war Ambros noch nie passiert. Er schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, war ein trotziger Zug in seinem Gesicht. »Eine Bedingung hätte ich«, sagte er in einem Ton, der jeden Widerspruch ausschloss.
Die Medica hob erwartungsvoll die Hände. »Und die wäre?«, fragte sie.
»Wenn ich das alles so hinbekomme, wie Ihr das gesagt habt – dann darf der Burghauptmann mich nie wieder beschimpfen oder bestrafen.« Jetzt war es heraus. Er verschränkte die Arme und wartete darauf, dass seine Forderung als unverschämt empfunden und abgeschmettert würde, aber das war ihm in diesem Augenblick gleichgültig.
Die Medica drehte sich zu den Grafen um. »Das könnten wir unter Umständen einrichten, was meint ihr?«
Chassim zögerte spielerisch und zog eine Augenbraue skeptisch in die Höhe, bis er schließlich zustimmend nickte. »Ja, ich denke, das lässt sich machen.«
Jetzt, zum allerersten Mal, lächelte Ambros. Nein, er lächelte nicht – es war schon ein breites, spitzbübisches Grinsen.
»Womit fangen wir an?«, fragte er geradezu tatendurstig.
VI
B ruder Thomas hatte den König mit seiner geballten Angriffslust in echte Schwierigkeiten gebracht. Konrad lag in seinem Kissen und fixierte das Spielbrett. Seit geraumer Zeit dachte er angestrengt über seinen nächsten Zug nach.
Bruder Thomas hatte sein ganzes verschütt geglaubtes Können beim Schachzabelspiel wieder hervorgekramt und war dem König, der ein ausgezeichneter Spieler war, ein ernsthafter Gegner. Aber Schachzabelspielen verlernte man anscheinend nicht, das war wie Schwimmen.
Konrad hatte lange geschlafen, nach dem Aufwachen viel von Annas Kräutermischung mit Honig getrunken – und dann hatte er seinen Wunsch nach einem Spiel geäußert.
Jetzt schaute er auf einmal vom Spielbrett auf. »Bruder Thomas – ich habe ziemlichen Hunger. Wollt Ihr mir was bringen?«
»Aber natürlich«, sagte Bruder Thomas und sprang auf. »Bis ich wieder da bin, könnt Ihr ja schon Euren nächsten Zug überlegen.«
»Der nächste Zug ist nicht das Problem«, seufzte Konrad und kratzte sich am Kinn. »Den kenn ich schon längst. Euer Zug, der übernächste und die darauffolgenden Züge sind es …«
Bruder Thomas eilte nach unten, als ihm einfiel, dass er noch des Königs Brief, den er bei sich trug, an Elisabeth von Bayern übergeben musste. Er wusste, dass sich die Hofdamen in den neu eingerichteten gräflichen Gemächern aufhielten, die beheizbar waren, und dort zusammen plauderten, stickten, Tänze einübten und musizierten, wie es sich für die hohen Frauen geziemte, wenn die Männerwelt Politik machte und diplomatische Gespräche führte. Als Mönch konnte er es
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