Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
astronomisch. Immerhin tröstete er sich damit, was ein paar weitere Jahre sub specie aeternitatis, dem Leitmotiv aller Handlungen der christlichen Kirche, waren: nichts. Konrad von Hochstaden war sich seiner Sache absolut sicher. Mit dem unablässigen, gewaltigen Strom von Pilgern, der unweigerlich einsetzen und stetig fließen würde wie die Wassermassen des Rheins, käme so viel Geld nach Köln, dass die Finanzierung des Bauwerks zu stemmen war. Stiftungen und Ablasszahlungen würden ebenfalls noch das ihre dazu beitragen. Schließlich würde der neue Dom Heimstatt der wertvollsten Reliquie der Menschheit werden, dem Schrein mit den Gebeinen der Heiligen Drei Könige. Doch es war eine Herkulesaufgabe, auch die anderen Entscheidungsträger von der Machbarkeit des unmöglich Scheinenden zu überzeugen. Der Erzbischof wandte alle ihm bekannten diplomatischen Kniffe an, um die mächtigen Mitglieder des Domkapitels auf seine Seite zu bringen, die nicht nur die Messen und täglich sieben Chorgebete im alten Dom lasen, sondern auch einstimmig den Beschluss zum Kathedralbau fassen mussten. In dieser Causa scheute er auch vor Drohungen oder Erpressungen nicht zurück, schließlich hatte er sich den Abriss des alten und den Bau des neuen Doms zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Es stand ihm peinvoll wie ein Menetekel vor Augen, dass es ihm nicht vergönnt sein würde, die Fertigstellung dieser großartigsten Kathedrale der Christenheit in ihrer ganzen Pracht und Monumentalität zu erleben. Das bedauerte er zutiefst, aber es war nun einmal nicht zu ändern. Umso mehr musste er seine Anstrengungen diesbezüglich forcieren, um das Vermächtnis seines verehrten Vorgängers, Erzbischof Engelbert I., endlich in die Tat umzusetzen. Immerhin würde der Name Konrad von Hochstaden auch noch nach Generationen und Jahrhunderten, die bis zur endgültigen Fertigstellung des epochalen Bauwerks ins Land ziehen würden, falls es Gott dem Herrn gefiel, so lange seine schützende Hand über das Heilige Römische Reich zu halten, als der des großen Initiators und Bauherrn des Kölner Doms ewigen Bestand haben. Wie ein gigantisches steinernes Grabmal seiner selbst, größer und beeindruckender als die Pyramiden im fernen Ägyptenland. Er ging vor dem Modell in die Hocke, das auf einem schweren Eichentisch stand, und schob eine Kerze hinter die Miniaturapsis, deren Schein den Sonneneinfall am frühen Morgen simulieren sollte. Er stellte sich vor, wie beeindruckend das durch die in allen Farben des Regenbogens verglasten Kirchenfenster vielfach gebrochene Licht auf die Gläubigen wirken würde. Es musste für die einfachen Leute wie eine Manifestation des Heiligen Geistes sein und das Versprechen der göttlichen Erlösung gleichsam mit den Händen greifbar werden lassen. Diese himmlische Zusage schon im irdischen Jammertal sichtbar und erlebbar zu machen, sah er als seine fundamentale seelsorgerische und spirituelle Aufgabe an. Der Erzbischof von Köln als Mittler zwischen Gottes Wort und seinem Volk. Die Durchsetzung seiner machtpolitischen Ziele stand auf einem anderen Blatt. Eine Diskrepanz zwischen weltlicher und geistlicher Betätigung existierte für Konrad von Hochstaden nicht, die hohe und verantwortungsvolle Position eines Erzbischofs verlangte und vereinte beides.
Es klopfte. Er knurrte ein knappes »Ja!« und drehte sich nicht um, als die Tür geöffnet wurde und Schritte sich näherten. Konrad von Hochstaden war normalerweise höchst ungehalten, wenn er in seinem Allerheiligsten, in seinem Schlafgemach, gestört wurde. Abt Sixtus war der Einzige, der dort Zugang hatte, er blieb in gebührendem Abstand stehen und wartete respektvoll darauf, dass er angesprochen wurde.
»Was wollt Ihr?«, fragte der Erzbischof ungnädig.
»Pater Severin, den Ihr einbestellt habt, ist gerade angekommen. Ich sollte Euch seine Ankunft melden, Euer Eminenz.«
»Schickt ihn herein«, sagte der Erzbischof, ohne seinen Blick vom Modell der Kathedrale abzuwenden.
»Sehr wohl«, verbeugte sich Abt Sixtus, ging zur Tür, winkte in den Vorraum und wartete, bis Pater Severin an ihm vorbei den Raum betrat, bevor er die Tür leise hinter sich schloss.
»Nun, was gibt es Neues, Pater Severin?«, fragte Konrad von Hochstaden, immer noch damit beschäftigt, den Lichteinfall der Kerze an seiner Kathedrale zu variieren.
Pater Severin war zwar klein, glatzköpfig und hatte einen seltsamen Gang, seit er als Kind von seinem betrunkenen Vater so zusammengetreten worden
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