Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
seine Verstecke zu verraten. Aber ihm soll daraufhin die Flucht gelungen sein.«
»Wie war sein Name?«, fragte Chassim und trocknete sich das Gesicht ab.
»Baldur von Veldern, Herr.«
Chassim bedankte sich mit einem Lächeln bei der Frau, die ihm Wasser und Tuch gereicht hatte, und gab das Tuch zurück. »Wir haben von ihm gehört«, sagte er. »Aber bisher hat er noch nie hier bei uns sein Unwesen getrieben. Er gilt als gefürchteter Mörder. Es ist sonst gar nicht seine Art, unliebsame Zeugen am Leben zu lassen.«
Er warf Anna einen kurzen Blick zu, die sich ebenfalls notdürftig gesäubert hatte. Mit diesem Blick, der nur für sie bestimmt war, deutete er an, dass es sich wohl um eine sehr ernste Angelegenheit und keinen Gelegenheitsüberfall handelte.
Dann wandte er sich wieder an die Dorfleute. »Ihr könnt von Glück sagen, dass er seine Vorgehensweise anscheinend geändert hat. Nun denn – ich schlage Folgendes vor, ihr Leute. Ihr baut den Hof und die Scheune wieder auf, dazu könnt ihr in den gräflichen Wäldern so viel Holz schlagen, wie ihr braucht. Was eure Vorräte betrifft – sie waren in der abgebrannten Scheune, nehme ich an.«
»Ja, Herr«, antwortete der Dorfschulze bedrückt. »Ich weiß nicht, wie wir über den Winter kommen sollen.«
Chassim nickte. »Ihr, Dorfschulze, beaufsichtigt zunächst den Aufbau hier. Dann kommt Ihr nach Burg Greifenklau. Macht eine genaue Liste über eure Verluste an Vieh und Vorräten.«
»Verzeiht Herr, aber niemand von uns kann schreiben oder lesen.«
»Dann lasst Euch von jedem sagen, was er verloren hat, und gebt es an uns weiter. Mein Vater und ich werden uns bis dahin überlegen, wie wir euch helfen können.«
Der Dorfschulze beugte sein Knie und nahm demütig seine Kopfbedeckung ab, eine selbst gemachte Mütze aus Schaffell. Alle Dorfbewohner folgten seinem Beispiel. »Ich weiß nicht, wie wir Euch danken können, Herr.«
Chassim sah alle reihum an. »Ich will es euch sagen, Leute«, sagte Chassim und erhob seine Stimme. »Indem ihr den Mut und eure Zuversicht nicht verliert. Und indem die jungen Männer unter euch, du, du und du …«, er deutete auf die drei kräftigsten Männer aus dem Dorf, »… alle willens sind, an meiner Seite gegen den Plackerer und seine Kumpane vorzugehen, wenn es so weit kommen sollte und ich euch als euer Lehnsherr zu den Waffen rufe.« Er sah jeden Einzelnen von ihnen an und fügte dann mit verhaltener, aber entschlossener Stimme hinzu: »Seid ihr dazu bereit, wenn euch dieser Ruf ereilt?«
»Ja, Herr!«, riefen die Angesprochenen wie aus einer Kehle und wären am liebsten auf der Stelle mit Chassim in die Schlacht gegen die Bande von Strauchdieben gezogen, so sehr hatte sie Chassims kurze Rede wieder angespornt. Chassim nickte ihnen zufrieden und wohlwollend zu, dann reichte er Anna seine Hand und half ihr auf den Kutschbock, kletterte selbst hinterher und ließ die Zügel schnalzen.
Die Dorfbewohner sahen Chassim und Anna nach, wie sie auf ihrem Wagen davonfuhren. Trotz ihres Verlustes hatte sie der junge Graf nicht ohne Hoffnung zurückgelassen. Auch der Dorfschulze war von Chassims kurzer Rede so beeindruckt, dass er seine Leute gleich wieder antrieb.
»Also los, worauf wartet ihr?«, rief er laut. »Packt endlich mit an!«
Er selbst ging mit gutem Beispiel voran, und bald waren alle wieder zugange, löschten letzte Brandnester und räumten verkohlte Balken beiseite, so als wäre dies kein Ende, sondern ein neuer Anfang.
TEIL II
I
S eit sie aus Wesling zurückgekommen waren, schien es Anna, als sei die unbeschwerte Zeit auf Burg Greifenklau vorbei, so vieles hatte sich inzwischen ereignet. Chassim hatte seinem Vater sofort nach ihrer Ankunft vom Überfall durch Ritter Baldur und dessen Männern berichtet, und sie hatten gemeinsam mit Anna und Bruder Thomas beratschlagt, was zu tun sei. Die Wachen auf Burg Greifenklau wurden zu erhöhter Aufmerksamkeit angehalten, ein Bote ritt die ganze Grafschaft ab und warnte alle Bauern und Waldarbeiter vor der marodierenden Bande. Ebenso wurden die Nachbargrafschaften über den Vorfall informiert. Mit allen wurde vereinbart, dass Burg Greifenklau von einem erneuten Überfall sofort in Kenntnis gesetzt werden sollte. Das waren nur die kurzfristigen Maßnahmen. Denn Chassim und sein Vater rechneten nicht damit, dass Ritter Baldur von Veldern das Weite suchen und in anderen Landen seine Überfälle fortsetzen würde. Er konnte ihrer Meinung nach jederzeit wieder auf
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