Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
hatte die Stichwunde von Bruder Thomas ein letztes Mal untersucht und die Fäden herausgezogen, weil sie vollständig verheilt war. Auch Bruder Thomas war ganz erpicht darauf, sich endlich wieder nützlich zeigen zu können und sich zusammen mit Anna seinem Heilberuf zu widmen. Lange genug hatte er nun, wie er es ausdrückte, auf der faulen Haut gelegen und sich auskuriert.
»Also«, sagte er voller Unternehmungslust, »wann und wie fangen wir an?«
»Ich fürchte, ganz von vorne!«, sagte Anna mit einem tiefen Seufzer.
Sie und Bruder Thomas machten einen kleinen Spaziergang unterhalb der Burganlage am Bach entlang. Für kurze Zeit hatte die Sonne die dicke Nebeldecke durchbrochen, die seit Tagen wie Blei über den Senken lag. Die Wege waren noch trocken, aber es war kalt geworden, nachts gefror das Wasser auf dem Hof in den Trögen für das Vieh, Schnee lag in der Luft. Anna und Bruder Thomas waren inzwischen zum »Du« übergegangen. Nach allem, was sie zusammen durchgestanden hatten, fanden sie beide, dass ein freundschaftlicher Umgang miteinander endlich angebracht war.
Anna zählte auf: »Wir haben keine Arzneien, kein Aqua vitae, keine Instrumente, keine Heilkräuter, nichts. Wir haben weder Räumlichkeiten, noch kennt uns irgendjemand hier. Wenn wir unsere Arbeit wieder aufnehmen und den Leuten wirklich helfen wollen, dann müssen wir zu den Menschen gehen.«
»Du meinst in die Stadt? Nach Wetzlar?«
»Siehst du eine andere Möglichkeit?«
Bruder Thomas schüttelte sorgenvoll den Kopf. »Nein.«
Sie gingen eine Weile, bevor Bruder Thomas mit dem herausrückte, was ihm schon seit geraumer Zeit auf der Seele lag. »Darf ich dich etwas Persönliches fragen? Ich meine … Es geht mich zwar nichts an, aber hast du schon mit Chassim über unsere Pläne gesprochen? Ist er damit einverstanden, dass du mit mir wieder anfangen willst, Kranke zu behandeln?«
Anna blieb stehen. »Wie meinst du das?«, fragte sie.
»Nun ja, es gibt Gerüchte …«
»Seit wann gibst du etwas auf Gerüchte?«
»Seit ich hier auf Burg Greifenklau Däumchen drehe und überall dumm herumstehe und versuche, der Dienerschaft beim Stallausmisten oder in der Küche zu helfen. Die Leute reden so manches, wenn sie denken, man hört nicht zu. Nicht dass ich lausche, aber manchmal lässt es sich gar nicht vermeiden, dass man etwas mitbekommt.«
»Ach ja? Und was munkeln die Leute denn so?«
»Man spricht unter der Hand über eine bevorstehende Heirat.«
Anna ging weiter, Bruder Thomas hatte Mühe, aufzuschließen. »Deine Heirat mit Chassim«, verdeutlichte er.
Anna blieb wieder stehen und sah Bruder Thomas direkt in die Augen. »Ich will ganz ehrlich sein zu dir, Bruder Thomas. Du bist ja inzwischen fast so etwas wie mein Beichtvater.«
»Keine Sorge, ich weiß, was ein Beichtgeheimnis ist. Ich bin zwar exkommuniziert und darf eigentlich gar keine Beichte mehr abnehmen, aber das wissen nur wir beide. Ich werde es für mich behalten.«
»Ich liebe Chassim aus ganzem Herzen. Er hat in aller Form um meine Hand angehalten.«
Ihr Blick ging in die Ferne. Bruder Thomas wartete darauf, dass sie fortfuhr. Anna kämpfte mit den Tränen.
Schließlich sprach er sie behutsam an. »Aber …?«
Sie blickte ihn wieder mit ihren verschiedenfarbigen Augen an, die ihn immer wieder faszinierten. »Aber ich weiß nicht, ob eine Heirat das ist, was ich will.«
»Was spricht dagegen? Glaubst du, er liebt dich nicht wirklich?«
»Doch. Er liebt mich über alles.«
»Verzeih, aber das ist mir zu hoch. Das verstehe ich nicht.«
»Du kennst mich als Anna, die Medica. Wir wissen beide erst seit kurzem, dass ich aber eine geborene von Hochstaden bin.«
»Ja und? Deshalb bist du doch kein anderer Mensch.«
»Doch. In den Augen der anderen schon. Aber ich glaube nicht, dass ich als Gräfin hier auf Burg Greifenklau glücklich werden kann.«
»Du meinst, wenn du erst Chassims Frau bist, dann erwartet er auch, dass du dich wie eine Gräfin von Greifenklau benimmst, dir deines hohen Standes bewusst bist und ein entsprechendes Leben führst?«
Jetzt nickte Anna, und eine Träne lief langsam ihre Wange hinunter. Bruder Thomas, der ein großes Herz hatte und für seine Medica alles getan hätte, spürte ihre tiefe Verzweiflung. Er nahm seinen Ärmel und tupfte fürsorglich ihr Gesicht ab. »Und ich Narr dachte immer, wenn man liebt und wiedergeliebt wird, sei man glücklich.«
Jetzt musste sie unter Tränen lächeln. »Bin ich ja auch.«
»Na, so
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