Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
schien ein besonnener Mann zu sein und scheuchte alle weiter.
In der Ferne am Dorfrand wartete ein besorgter Chassim, der zur Untätigkeit verdammt war und nur darauf hoffen konnte, dass seine Anna wieder wohlbehalten aus dem Wald herauskam. Als er sie endlich sah, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Aber schnell gewann sein angeborenes und seinem Stand und seinem Pflichtbewusstsein geschuldetes Talent als Anführer die Oberhand. Die Dorfleute erkannten ihn auf den ersten Blick als ihren Grafen und waren froh und dankbar, dass er sofort klare Anweisungen gab. Er teilte die unterschiedlich kräftigen Frauen, Kinder und Männer je nach Größe und Stärke für verschiedene Aufgaben ein, ließ eine Menschenkette zum nahen Bach bilden, die das Löschwasser in Ledereimern und verfügbaren Behältnissen aller Art schnell an Brandherde brachte, und sorgte insgesamt mit seiner Autorität und Organisation zumindest dafür, dass die noch nicht geschädigten Häuser vor den Flammen geschützt wurden. Das große Gehöft, die angrenzende Scheune und eine Kate waren sowieso nicht mehr zu retten, aber die Anstrengungen und der Eifer der Dorfbewohner sowie der Einsatz von Anna und Chassim trugen wenigstens dazu bei, dass der Schaden nicht noch größer wurde.
Als nach zwei aufreibenden und anstrengenden Stunden das Schlimmste überstanden war und Chassim den Befehl gab, die weiteren Löscharbeiten einzustellen und eine Pause zu machen, setzten sich alle erst einmal erschöpft auf den Boden und sahen zu, wie die schwarzen Trümmer des Gehöfts vor sich hin kokelten und rauchten. Das ursprüngliche Entsetzen war einer müden Traurigkeit gewichen. Alle waren durchnässt vom Wasser und ihre Gesichter rußverschmiert. Anna besah sich ein paar kleine Brandwunden, die sämtlich unbedeutend waren, und tröstete, wo sie nur konnte. Wieder ärgerte sie sich, dass sie nicht mehr tun konnte – jetzt wäre, vor allem bei den Kindern, eine wirkungsvolle Salbe viel wert gewesen.
»Nun erzählt, Dorfschulze, was ist hier eigentlich vorgefallen?«, fragte Chassim den Dorfältesten schließlich und wusch sich Hände und Gesicht in einem Eimer Wasser, den ihm eine ältere Frau zusammen mit einem Tuch gebracht hatte.
Der Schulze sah sich das traurige Häuflein seiner Leute reihum an, dann begann er zu berichten.
»Sie kamen aus dem Nichts wie die Reiter der Apokalypse – zwanzig Strauchdiebe auf ihren Pferden. Dann warteten sie stumm hier auf dem Hof, bis wir alle versammelt waren. Keiner der Kerle hatte bis dahin auch nur den Mund aufgemacht. Erst als ich es wagte, das Wort an sie zu richten, packte der Anführer Elsa …«, er zeigte auf ein eingeschüchtertes Mädchen von vielleicht fünfzehn Jahren, »… und hielt ihr sein Schwert an die Kehle. Er forderte uns auf, sämtliches Vieh herzubringen und ihnen zu übergeben. Angesichts der waffenstarrenden Männer und ihrer Gesichter blieb uns nichts anderes übrig, als seinem Befehl Folge zu leisten. Dann sagte er, er zähle laut bis zehn. Was dann noch zwei Beine habe und von ihm oder einem seiner Männer angetroffen werde, werde erbarmungslos niedergemacht. Ihr könnt mir glauben, dass wir nicht einen Augenblick an seinen Worten gezweifelt haben. Wir haben die Kinder gepackt und zugesehen, dass wir uns im Wald versteckten, wo diese edle Dame …«, er zeigte auf Anna, »… uns schließlich gefunden hat.«
»Wer war dieser Anführer?«, wollte Chassim wissen.
»Ich kannte ihn nicht. Aber er war groß, rotbärtig und hatte ein Brandmal in Form eines Kreuzes auf der Stirn. Und aus seinen Augen loderte etwas, das ich nur als Höllenfeuer bezeichnen kann.«
Anna sah Chassim an. »Das hört sich nach Baldur von Veldern an. Aber das kann doch nicht sein! Wir haben mit eigenen Augen gesehen, wie er von Männern des Vogtes gefangen genommen worden ist …«
Ein jüngerer Bursche mit Pockennarben im Gesicht trat vor. »Verzeiht, Herr, aber ich erkannte ihn. Ich war in Köln auf dem Viehmarkt vor ein paar Tagen. Dort fanden mehrere Hinrichtungen statt, Plackerer, die bei einem Überfall vom Vogt und seinen Männern gefangen genommen worden waren. Ihr Anführer war auch dabei. Er war es, ich weiß es genau, ich habe sein Gesicht gesehen. Allerdings hatte er noch nicht dieses Brandmal auf der Stirn. Alle wurden auf Befehl des Erzbischofs und nach der Aburteilung durch den Vogt gehängt. Bis auf ihn. Es hieß, er solle einem peinlichen Verhör unterzogen werden, um noch mehr über seine Untaten und
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