Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
aufkommen zu lassen.
Wieder bekreuzigten sich einige.
Bruder Thomas sprach weiter. »Er hieß Jeronimus und war unser Fuhrknecht. Wir werden ihn mitnehmen und seinem Leichnam ein christliches Begräbnis zukommen lassen, wie es sich gehört. Wenn uns jemand hilft, ihn auf unseren Wagen zu laden …«
Er packte Jeronimus schon unter den Achseln, der Wirt nahm die Beine, und zusammen trugen sie ihn zum Hinterausgang hinaus. Anna hielt die Tür auf und leuchtete ihnen mit einer Fackel aus der Wirtsstube.
Als sie den Leichnam in eine Decke eingewickelt auf dem Wagen untergebracht hatten, gab Bruder Thomas dem Wirt noch ein paar Münzen für seine Hilfe und die Umstände, die sie ihm gemacht hatten. »Danke für Eure Mühe. Wir bleiben hier im Stall und übernachten im Heu, wenn es Euch recht ist. Wir werden bei Tagesanbruch weiterfahren. Gott sei mit Euch!«
Er machte das Kreuzeszeichen, und der Wirt war froh, aus der ganzen Verantwortung entlassen zu sein und wieder zurück in seine Schenke gehen zu können.
Bruder Thomas wartete, bis die Tür des Hintereingangs hinter dem Wirt zugegangen war, dann schloss er das Scheunentor und wandte sich Anna zu.
»Gift?«, fragte er nur.
»Ja«, nickte sie, »ich denke schon« und schob die Kapuze zum ersten Mal, seit sie hier waren, in den Nacken. »Alles deutet darauf hin. Der schnelle Ablauf, die Krämpfe, die Atemnot, Erbrechen, der Schaum vor dem Mund …
Wenn du mich fragst, sind das eindeutige Hinweise auf ein rasch wirkendes, absolut tödliches Gift.«
»Tollkirsche?«
»Nein. Das wirkt nicht so schnell. Außerdem löst das Gift der Tollkirsche Visionen aus und lässt das Opfer herumhüpfen wie beim Veitstanz. Ich denke, das war etwas ganz Besonderes, etwas, das aus dem Morgenland kommt. Mein Medicus hat mir so einiges davon erzählt.«
Bruder Thomas fischte in seiner Innentasche nach dem kleinen Gegenstand, den er unweit des Leichnams auf dem Boden der Gaststätte entdeckt und mitgenommen hatte, und reichte ihn Anna, es war ein fingerdickes Glasröhrchen. »Das hab ich neben Jeronimus gefunden«, bemerkte er dazu.
Anna nahm die Glasampulle, untersuchte sie im Licht der Fackel genauer und roch vorsichtig daran. »Geruchlos«, konstatierte sie. »Woher er das wohl hatte? Ein schnell wirkendes, geruch- und geschmackloses Gift dürfte nicht so leicht aufzutreiben sein.«
»War es nicht Jeronimus, der gesagt hat, dass man in Köln alles bekommt – vorausgesetzt, man zahlt entsprechend?«
Anna kramte in ihrem ausgezeichneten Gedächtnis. »Jakob, der jüdische Medicus, hat doch erwähnt, dass ein Bote des Erzbischofs etwas von ihm wollte, was er ihm nicht gegeben hat. Ein gewisser Pater Severin … Er nannte ihn Giftzwerg?«
Bruder Thomas machte eine bestätigende Geste, die sein uneingeschränktes Einverständnis mit Annas Schlussfolgerungen demonstrierte.
Anna dachte laut weiter. »Jeronimus muss das Gift vom Erzbischof oder einem seiner Helfer bekommen haben. Konrad von Hochstaden hat schon meinen Infirmarius und Lehrmeister im Kloster Heisterbach, Prior Urban, vergiften lassen. Als ich noch als Bruder Marian dort war. Das ist seine Spezialität. Aber er lässt das natürlich so geschickt machen, dass man ihm nichts nachweisen kann. Ich wusste damals schon, wer dahintersteckte, aber ohne Beweise oder Zeugen …«
»… können wir auch in diesem Fall nichts machen«, brachte Bruder Thomas den angefangenen Satz von Anna zu Ende. »Aber diesmal war das Gift für uns bestimmt, Anna. Er will uns immer noch aus dem Weg räumen.«
»Du hast recht«, nickte Anna nachdenklich.
»Trotzdem verstehe ich es nicht«, sagte Bruder Thomas. »Wir stellen doch keine Gefahr für ihn oder seine Pläne dar.«
»Es geht ihm ums Prinzip, Thomas. Wir sollen uns niemals sicher fühlen. Er hat mir das damals genau erklärt. Unter vier Augen, als er mich auf Burg Landskron aufgesucht hat, einen Tag vor unserem Inquisitionsprozess. Leute wie wir, die alles untersuchen wollen und in Frage stellen, weichen die Absolutheit und Festigkeit des Glaubens auf, das Fundament, auf dem die heilige Mutter Kirche steht. Eine Frau darf keine Medica sein und Heilmethoden anwenden, die jahrhundertealten Gepflogenheiten widersprechen. Und wenn sie es doch tut, dann ist sie und alle, die ihr helfen, mit dem Satan im Bunde.«
»Und muss demzufolge vergiftet werden?«
»So ist es. Wenn das angewendete Kirchengesetz und seine Auslegung durch den Erzbischof, die als unfehlbar anzusehen ist,
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