Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
war. Es gab keine Nachrichten von ihm, also wenigstens auch keine schlechten. Das erfuhren sie vom alten Grafen, den sie vor ihrer Abfahrt nach Köln in ihre Pläne eingeweiht hatten. Er wollte ihnen unbedingt Geleitschutz mitgeben, aber Anna hatte es vorgezogen, als Bruder Marian verkleidet, unauffällig und ohne großes Aufhebens über Land zu reisen. Wie immer hatte sie ihren Willen durchgesetzt, auch wenn Graf Claus nicht ganz wohl dabei war und er sich immer größere Vorwürfe machte, je länger ihre Abwesenheit andauerte. Nach ihrer glücklichen Rückkehr – Graf Claus war ein Stein oder eher ein ganzer Felsbrocken vom Herzen gefallen, als ihm Annas Ankunft gemeldet worden war – und nachdem sie den alten Grafen von ihren Erlebnissen unterrichtet hatten, beratschlagten sie gemeinsam, wie im Falle des toten Fuhrknechts verfahren werden sollte. Der Knochenhauer hatte keine Angehörigen, und so beschlossen sie einmütig, es bei der Erklärung von Bruder Thomas zu belassen, in der Jeronimus einen plötzlichen Tod durch Schlagfluss erlitten hatte, und strikt für sich zu behalten, was wirklich vorgefallen war.
Die Totenmesse für den Knochenhauer zelebrierte Bruder Thomas mit allen liturgischen Ehren in der Scheune der Burg. Die kleine Familienkapelle konnte die Trauergemeinde nicht aufnehmen, und draußen pfiff ein so eisiger Wind, dass Bruder Thomas beschlossen hatte, die Zeremonie nicht im Freien abzuhalten. Anschließend wurde der einfache Sarg mit dem Leichnam im kleinen Friedhof neben der Kapelle im Wald hinter der Burg bestattet. Alle Bauern und Bediensteten von Burg Greifenklau waren mit ihren Familien zugegen, und nachdem sie gemeinsam das Vaterunser gebetet und das Grab zugeschaufelt hatten, pflockte Bruder Thomas noch ein schlichtes Holzkreuz auf dem Erdhügel ein und sprach den abschließenden Segen. In dem folgenden Moment der Stille und inneren Einkehr fing es lautlos an zu schneien. Dicke Schneeflocken schwebten auf den Trauerzug zurück zur Burg, und im Nu waren Land und Leute von einer weißen Schicht bedeckt.
Ambros, der mit einigen anderen den Wachdienst übernommen hatte, kam ihnen schon von weitem winkend entgegengerannt. Der alte Graf ging an der Spitze des Zuges, neben ihm waren Anna und Bruder Thomas, und wartete, bis der Hütejunge, völlig außer Atem und mit geröteten Wangen, bei ihnen angekommen war und sich verbeugte.
»Herr«, keuchte er. »Eine Brieftaube. Von Eurem Herrn Schwiegersohn, dem Grafen von Landskron aus Oppenheim.«
Graf Claus lächelte, weil Ambros so aufgeregt und übereifrig war. »Woher willst du das wissen? Hat sie sich vorgestellt?«
»Der Hauptmann der Wache hat sie gefunden und es mir mitgeteilt.«
»Und?«, fragte der Graf. »Was hat sie ihm zugegurrt?«
Ambros wurde noch röter im Gesicht, als er es ohnehin schon war, fummelte in seinem Wams herum, bis er endlich fündig wurde, und reichte dem Grafen mit einer Verbeugung ein winziges zusammengerolltes Käpselchen, das mit einem Bindfaden verschlossen war. »Verzeiht, Herr, hier ist die Botschaft«, sagte er.
»Schon gut«, erwiderte der Graf und gab sie mit besorgter Miene an Anna weiter. »Bitte, lies vor. Es muss etwas Wichtiges sein, sonst hätte mein Schwiegersohn mir keine Brieftaube geschickt.«
Anna biss den Faden ab, rollte das Käpselchen auf und las die Botschaft laut vor.
»Was bedeutet das?«, fragte der alte Graf verwirrt.
»Das ist eine schlimme Nachricht«, sagte Anna leise und war ganz blass geworden. Sie bemerkte nicht einmal, wie die Schneeflocken auf ihrem Gesicht schmolzen. »Sie bedeutet, dass ich sofort zu Graf Landskron muss, er bittet mich dringend um Hilfe.«
»Und warum?«, wollte Graf Claus wissen.
Anna sah sich um. Hinter ihr stand in einem großen Bogen fast die komplette Burgbesatzung samt Familien und harrte darauf, dass es vorne wieder weiterging. Anna beugte sich zum Grafen hinauf. »Der junge König liegt im Sterben«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Dann nahm sie seinen Arm und ging mit ihm weiter durch das Schneegestöber. Bruder Thomas folgte einigermaßen ratlos.
Der Trauerzug setzte sich hinter ihnen wieder in Bewegung, das Schneetreiben wurde immer dichter.
II
Bruder Thomas hielt sich das winzige Pergament vor die Augen und las zum wiederholten Mal, indem er die Kürzel halblaut mitmurmelte. »Med. fest. Lea mort. est. Mors re. inst …«
Er stand mit Anna und dem alten Grafen am Kamin der großen Halle im Herrenhaus, sie mussten sich nach der
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