Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
nicht ausreicht, sprich: der Scheiterhaufen, der für uns bestimmt war, nicht zur Anwendung gebracht werden kann, dann muss er uns eben auf andere Art ausschalten. Das ist das Verständnis seiner Rolle als Oberhirte seiner Schafe. In seinen Augen sind wir in Acht und Bann. Jedermann hat das Recht und die Pflicht, uns bei Gelegenheit aus dem Weg zu räumen.«
»Das sind ja schöne Aussichten. Vielleicht sollte ich mir doch eine andere Arbeit suchen, als Botanicus in einem weit abgelegenen, friedlichen Kloster zum Beispiel«, spottete Bruder Thomas.
»Ich könnte es dir nicht mal verdenken. Aber du hast es in Weingarten ja auch nicht ausgehalten, das war doch weit abgelegen und friedlich«, entgegnete Anna ihm nicht minder spöttisch.
»Wo du recht hast, hast du recht«, seufzte Bruder Thomas und drückte Anna die Fackel in die Hand. Anna wurde wieder ernst. »Was hast du vor?«
Bruder Thomas war auf den Wagen geklettert. »Leuchte mir mal!«, sagte er und schlug die Decke zurück, in die der Leichnam eingewickelt war.
»Was machst du da?«, fragte sie.
Bruder Thomas sah das Antlitz des Toten an und schüttelte den Kopf. »Wie hast du das nur gemacht, Jeronimus? Ich habe dich doch den ganzen Tag nicht aus den Augen gelassen …«
Anna sagte es ihm. »Die zwei Raufbolde, Thomas. Er hat sie bezahlt, damit sie Streit mit uns anfangen und wir abgelenkt sind.«
»Glaubst du?«
»Aber ja. Als er gedacht hat, dass ich nur darauf achte, wie sie dir eine Tracht Prügel verpassen, hat er uns das Gift ins Bier getan.«
Bruder Thomas rieb sich nachdenklich den schmerzenden Wangenknochen. »Wenn du nicht aufgepasst hättest, würden wir beide hier liegen.«
»Als ich aus dem Augenwinkel sah, was er machte, dachte ich mir, ich lasse ihn seine eigene Arznei kosten.«
Bruder Thomas warf Anna einen Seitenblick zu, verzog sein Gesicht und kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Dich möchte ich auch nicht zum Feind haben.«
»Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich mir nicht mehr alles gefallen lasse und mich zur Wehr setze, wenn es sein muss. Erinnerst du dich?«
»Nur zu gut! Gott sei’s gedankt und gepriesen, dass du dich immer noch an deine Grundsätze hältst, Bruder Marian, denen habe ich mein Leben zu verdanken«, seufzte Bruder Thomas und begann damit, den Leichnam abzutasten. »Ich will wissen, was wir dem Erzbischof wert sind. Unser Knochenhauer hat seinen Judaslohn bestimmt irgendwo am Leib versteckt.«
Er erspürte unter dem Wams des Toten etwas und brachte eine Lederbörse zum Vorschein. Er öffnete sie und ließ die Handvoll Münzen auf die Sitzfläche des Kutschbocks kullern. Dabei stieß er einen anerkennenden Pfiff aus: »Ganz schön viel Geld für einen mittellosen Fuhrknecht, meinst du nicht auch? Warte mal …«
Er zerrte am Gürtel des Toten, löste ihn, zog ihn heraus und betastete ihn. An der Innenseite fand er ein eingenähtes Täschchen, aus dem er noch vier Münzen herausfischte. »Goldmünzen!« Bruder Thomas war fassungslos, als er sie genauer betrachtete. »Und weißt du, was für welche? In Dreiteufelsnamen«, fluchte er. »Das sind Augustalen!«
Schnell warf er einen entschuldigenden Blick gen Himmel, bekreuzigte sich hastig und murmelte: »Parce mihi, Domine, qui es sueba sum! Verzeihung, Herr – war nicht so gemeint, das ist mir einfach rausgerutscht!«
Anna sah sich die Münzen ebenfalls an. »Da haben wir die 30 Silberlinge«, sagte sie ruhig. »Darauf können wir uns wirklich etwas einbilden, Thomas. Wir sind Seiner Eminenz, dem Erzbischof, inzwischen eine ganze Menge wert, wer hätte das gedacht.«
»Du hast vielleicht eine feine Verwandtschaft! Immerhin ist er dein Oheim«, stichelte Bruder Thomas.
Anna zuckte mit den Schultern. »Du weißt ja, seine Verwandtschaft und seine Feinde kann man sich nicht aussuchen. Seine Freunde schon.«
In diesem Augenblick konnten sie beide zum ersten Mal wieder lächeln.
TEIL III
I
C hassim war nicht da.
Anna hatte sich auf dem ganzen Heimweg so sehr darauf gefreut, ihrem Liebsten um den Hals zu fallen und ihm ihr ganzes Herz auszuschütten, von ihm getröstet und bestärkt zu werden. Sie sehnte sich danach, in seine besorgten Augen zu sehen, sein Verständnis zu spüren und ihn dann anschließend die ganze Nacht in den Armen zu halten, sorgenfrei und schwerelos …
Aber das war ihr alles nicht vergönnt, weil Graf Chassim von Greifenklau von seiner Rundreise durch die Dörfer und angrenzenden Grafschaften immer noch nicht zurück
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