Die Rache Der Nibelungen
war.
Es war eine Welt ohne Schmerz. Und es gab keine Welt ohne Schmerz.
Während seine Familie ihn besorgt ansah, rutschte Sigurd rückwärts über den Boden, bis er an die Mauer stieß. Er schob sich daran hoch, und seine Hand fand eines der Schwerter, das dort zur Zierde hing.
»Was ist los?«, fragte Gernot freundlich. »Quält dich der Wein? Hast du etwas Unrechtes gegessen?«
»Spiel mit mir!«, quäkte Lilja und hielt ihrem Bruder die Puppe hin.
»Ich bin doch so stolz auf dich«, sagte Elsa, ihre Stimme seltsam tonlos.
Und noch immer beachtete niemand den Wolf, der nun hungrig an einem Knochen kaute, den er von Eolinds Platte gezerrt hatte.
Ohne Kraft im Arm wedelte Sigurd das Schwert in seiner Hand hin und her. »Kommt mir nicht zu nahe!«
»He, alter Freund – warum die Aufregung?«, säuselte Jon, die Hände erhoben, um seine Friedfertigkeit zu beweisen. »Nun setzt Euch erst mal hin, und dann sehen wir weiter.«
»Warum erhebt Ihr das Schwert gegen Eure Freunde?«, fragte Gelen, doch sein Lächeln zerfaserte, wurde unechter mit jedem Wort.
Sie kamen auf ihn zu, freundlich, aber tot in den Gesichtern, die bleicher wurden, je eingehender Sigurd hinsah.
»König von Xanten«, flüsterten sie wie im Chor. »Bezwinger von Wulfgar. Weiser König. Großer Krieger. Liebender Mann.«
Der Wolf sah eher beiläufig zu, wie Sigurd in Panik geriet, sich nicht mehr zu helfen wusste – und Gernot das Schwert in die Brust stieß!
Stille. Nur für einen Moment. Sigurd zog die Klinge aus dem Fleisch des Vaters, und keine Wunde zeigte sich.
Gernot lächelte. »Nie würdest du deinem Vater ein Leid zufügen wollen. Fürchte dich nicht.«
Elsa griff nach seinem Kopf, um ihm über das Haar zu streichen. »Fürchte dich nicht. Schlaf. Ergib dich dem Traum. Und fürchte dich nicht.«
»Fürchte dich nicht«, flüsterte auch Lilja, deren vor ihr baumelnde Puppe Sigurd nun wie eine Waffe erschien – oder wie eine Kreatur aus Utgard selbst.
Hände streckten sich nach ihm aus, Dutzende. Zu viele, um die Menschen dahinter sehen zu können. Sie zerrten und zupften an ihm. Nicht böse, eher helfend und besorgt. Im Singsang konnte er keine einzelnen Stimmen mehr ausmachen. Er war nicht mal mehr sicher, noch im Festsaal des Hofes von Island zu sein. Hartes Holz schien seinen Rücken zu stützen, wo Mauer sein sollte, und die Decke glitt weg, als habe sie ihre Aufgabe erfüllt.
Durch Dutzende von Fingern vor seinem Gesicht sah Sigurd den Wolf. Ein paarmal stocherte er mit dem Schwert in die Menge, doch es war umsonst. Die Klinge konnte nicht einmal Stoff schneiden an Körpern, die ihr keinen Widerstand boten.
All das hier ... war nicht real.
Nichts von dem, was er sah, umgab ihn wirklich. Es war ein Trick, den ihm die Sinne spielten. Ein übler Scherz, nicht mehr als Schall und Rauch.
Er fühlte die Umgebung nicht, und die Körper von Freunden und Familie ähnelten Mänteln, unter denen er begraben lag und die er nur von sich stoßen musste.
Nur der Wolf war echt. Der Wolf auf dem Tisch.
Und er selbst.
Sigurd schloss die Augen, zwang seine Ohren, nicht auf den gleichförmigen Singsang der Menge zu achten, die ihn bedrängte. Er schaute in sich, suchte die Wahrheit, suchte Erinnerungen, die genug Gefühle auslösten, um echt sein zu können. Die Schlacht um Xanten? Sie ließ sein Herz nicht schneller schlagen. Der Tod Wulfgars? So vage, dass er nicht einmal die Waffe benennen konnte, mit der er siegreich gewesen war.
»Zeit ist bedeutungslos.«
Da war ein Gefühl! Freundschaft und Dankbarkeit, echt und unverfälscht. Aber aus einer anderen Welt.
Ganz gleich, wie fein gesponnen auch die Lügen waren, die man ihm hier aufgetischt hatte – Sigurd wollte den Weg in seine eigene Realität finden!
Und weil nichts, was Gaukelei war, seiner Macht unterlag, besann er sich auf das Einzige, was für ihn formbar war.
Er selbst.
Sigurd von Island hob das Schwert in seiner Hand, drehte die Klinge nach unten und stieß sie wuchtig in sein eigenes Bein.
Es gab Gerüchte am Xantener Hof, wonach die Prinzessin vom Giftmordversuch an ihrem Vater zumindest gewusst hatte, aber niemand war töricht genug, sie laut auszusprechen. Es gab wieder andere Gerüchte, die besagten, dass Wulfgar sich erneut eine Frau nehmen würde, um einen Erben zu zeugen. Einen männlichen Erben.
Xandria war es egal. Ihr Leben hatte geendet, als Wulfgar das Gift mit dem Essen ausspie und ihr jede Hoffnung nahm, sich selbst und das Land von seiner
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