Die Rache Der Nibelungen
Tyrannei zu befreien. Der König hatte ihr eine neue Hofdame zur Seite gestellt, Lore, aber Xandria hatte dieser kalten und tückischen Frau nach kaum drei Tagen die Tür gewiesen. In Gegenwart der Prinzessin durfte sich die Hofdame nur noch nach ausdrücklicher Aufforderung aufhalten.
Die Bücher hatte Wulfgar ihr genommen und den Zutritt zu den Beratungen verboten. Keine Ausritte in die umliegenden Dörfer mehr, keine Hilfe für die Armen und Kranken. War ihr das Leben schon vorher wie im Käfig vorgekommen, so hatte man dem Käfig nun ein undurchlässiges Tuch übergeworfen, auf dass der Vogel darin seinen Gesang einstelle.
Bisher hatte Wulfgar seine Tochter bestenfalls als lästig empfunden – nun war sie gefährlich und unberechenbar. Der Frühling war traditionell die Zeit der Brautwerbung, und Xandria hatte das unangenehme Gefühl, dass ihr Vater nur auf die ersten Blüten wartete, um sie bei anderen Königshäusern anzupreisen wie ein Schlachthuhn auf dem Marktplatz. Jeden Abend betete die Prinzessin um einen langen Winter.
Die Tatsache, dass die Lieferungen aus Island weder in Häufigkeit noch in Menge zufriedenstellten, besserte die Laune Wulfgars nicht.
Es war eine so naheliegende Idee gewesen, Wulfgar zu töten, um die Last von Volk und Hof zu nehmen. Aber sie hatte versagt, hatte in letzter Konsequenz die notwendige Kraft nicht besessen. Das bessere Leben, das sie für sich und die Xantener erhofft hatte, es blieb Illusion.
Doch das eigene Leid war kein Schicksal, das sie hinnehmen musste. Zumindest das blieb ihr. Zwar sprachen die Pfaffen von Sünde und Höllenqual für den, der Hand an sich selber legte – doch als Vatermörderin im Geiste hatte Xandria sowieso wenig Hoffnung, dereinst im Himmel Aufnahme zu finden. Was im Gespräch mit Hede noch makabrer Scherz gewesen war, nun reifte es zum bitteren Entschluss – die Prinzessin suchte den Abschied aus dem eigenen Leben. Es erschien ihr fast wie Ironie, dass sie ausgerechnet von dem Gift, das Wulfgar zugedacht gewesen war, noch genügend Pulver hatte, um sich selbst zu erlösen.
Sie wählte einen perfekten Abend aus. Milder Wind hatte frischen Schnee gebracht und über jedes Leid eine weiße Decke gelegt. Zur Feuerstelle erleuchteten viele Kerzen das Gemach der Prinzessin warm und freundlich, heißes Wasser im Zuber hatte ihre Haut umspült, und bevor sie in das leichte Nachtkleid schlüpfte, gönnte sie sich duftende Öle auf Armen und Brust. Sorgsam und geduldig bändigte sie das wilde rote Haar mit Kämmen, vor der Tür ließ sie einen einzelnen Flötenspieler leise musizieren.
Ein Buch, das dem Zorn ihres Vaters entgangen war, zog sie vorsichtig unter den Leinenlaken hervor, die in der Ecke in einer Kiste lagen. Es waren Geschichten von jenseits der Grenzen, gesammelt von Reisenden aus aller Herren Länder. Manche waren Gedichte, andere Lobgesänge, viele wenig mehr als trockene Berichte langer Fahrten. Es gab auch Schilderungen wilder Feste und Preisungen der Schönheit, von Landschaften wie von Frauen. Besonders von Frauen. Dabei wurden Worte benutzt, die Xandria nie gehört hatte, und Dinge beschrieben, die sie sich kaum vorstellen konnte.
Kein Mann hatte Xandria je so schön beschrieben und keiner sie erfreut, wie es hier niedergeschrieben war. Auf ihrem Bett lag sie mit dem Buch in der Hand zwischen all den Kissen und träumte sich in eine bessere Welt. Es fiel ihr nicht schwer, das Pulver in die warme Milch zu rühren. Was hielt sie noch in Xanten, was hielt sie noch im Leben? Das Einzige, was sie noch fürchtete, war der Schmerz, doch sie konnte sich kaum vorstellen, dass ihr zarter Körper sich dem Gift so widersetzen würde wie ihr von Kampf und Fett gemästeter Vater.
Sie schickte den Musiker fort, schloss das Buch, trank die Milch und legte sich zurück. In ihren Mund steckte sie ein Seidentuch, um Schreie zu vermeiden, die zur Entdeckung ihrer Absicht führen konnten.
Kaum eine Stunde später kam das Feuer. Es begann in ihren Fingerspitzen heiß und prickelnd, als hätte sie in die Flamme einer Kerze gelangt. Dann kroch es durch die Arme in die Schultern, loderte in ihrem Hals. Krächzend warf sie sich auf dem Bett hin und her. Wütend fackelte die Hitze durch ihren Oberkörper, der sich zusammenzog, als gelte es, sich in einem Versteck klein zu machen. In Stößen drängten Schmerz und Feuer in den Unterleib, zerrten an ihren Eingeweiden, leckten prasselnd jeden Muskel. Der Speichel im Mund vermischte sich mit Blut im
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