Die Rache Der Wache
gestreift war ... »Na gut, na gut«, brummte er plötzlich. Er gab den Arm des Dieners frei, um die Binde wieder vor die Augen zu legen. »Na gut, verdammt, warte.«
Als der Dieb fort war, erhob Enas Yorl sich. Seine Form hatte sich gefestigt, zu einer angenehmeren Gestalt als meistens. Er ging einen Raum tiefer und betrachtete die zarten schönen Finger, die zu berühren ein reines Vergnügen war — aber um so schlimmer würde es sein, wenn er sich wieder zu verändern begann — im nächsten Moment oder auch erst morgen.
Diese ständigen Verwandlungen waren ein Racheakt, kein sehr feiner, aber auch der Hexer, dem er diesen Fluch verdankte, war nicht sehr fein gewesen. Das war auch schließlich der Grund gewesen, warum seine junge Frau sich Enas Yorl damals in ihr Bett geholt hatte — einen jüngeren Enas Yorl, aber Alter bedeutete ihm nun nichts mehr. Die Gestalten, die der Fluch ihm verlieh, konnten alt oder jung sein, männlichen oder weiblichen Geschlechts, menschlich oder nicht. Und die Jahre machten ihm Angst. So viele hatte er gehabt, Meister seiner Kunst zu werden, doch seine Kunst half ihm nicht, den Zauber eines anderen aufzuheben. Das konnte niemand. Daß einige seiner Formen jung waren, ließ darauf schließen, daß er nicht alterte, daß es kein Ende dieser Qualen gab — niemals.
Doch in letzter Zeit starben auch Zauberer in Freistatt. Hätte er dem Dieb gesagt, worum es wirklich ging, hätten selbst Drohungen ihn nicht dazu gebracht mitzumachen. Aber an diesen Toden war Enas Yorl geradezu inbrünstig, verzweifelt interessiert. Ischade - Ischade ... Schlimme Gerüchte hafteten diesem Namen an. Ischade: eine Zauberdiebin; eine Jägerin von Zauberern; eine, die Schatten und Geheimnisse umgaben. Ischade, die Grund hatte, die Opfer zu hassen, die sie wählte.
Und alle ihre Bettgefährten starben, einen sanften Tod die meisten, doch in dieser Beziehung war Enas Yorl nicht wählerisch.
Er blieb kurz stehen, hörte, wie die Haustür sich schloß. Der Dieb war auf dem Weg; Dieb gegen Diebin. Eine plötzliche Kälte ließ Enas Yorl heftig schaudern. Zauberer starben in Freistatt. Diese Möglichkeit faszinierte ihn, erfüllte ihn mit Hoffnung und Furcht. Mit Furcht, weil Gestalten wie seine jetzige ihn zum Feigling machten, ihn erinnerten, welche Freuden das Leben zu bieten hätte. Ja, zu solchen Zeiten fürchtete er den Tod — während der Dieb, den er ausgeschickt hatte, ihn für ihn suchte.
Darous kehrte zurück und blieb auf den Marmorfliesen stehen.
»Gut gemacht«, lobte Enas Yorl.
»Soll er beschattet werden, Gebieter?«
»Nein«, antwortete Enas Yorl. »Nicht nötig. Durchaus nicht nötig.« Abwesend schaute er sich um. Eine leichte Übelkeit verriet ihm, daß er sich wieder verändern würde. Er floh, immer schneller wurden seine Schritte auf dem Marmor. Darous konnte nichts sehen — Darous ahnte, spürte, doch das war etwas anderes. Aber da war der Stolz.
Innerhalb einer Stunde, in einem dunklen Winkel des Hauses, während die Basilisken durch die Gänge streiften, wimmerte etwas in den Falten der dunklen Vermummung, etwas, dem die Schönheit genommen war, und es sehnte sich nach dem Tod.
Darous, der nichts sah, spürte das Wesen dieser Verwandlung, und beschäftigte sich in anderen Teilen des Hauses.
Die Basilisken, deren kalte Augen sehr wohl sehen konnten, wanden sich in ihrem geschmeidigen Schuppenpanzer und hasteten, von dem Blick des Wesens wie durchbohrt, von dannen.
5
Nicht viele Frauen besuchten das Einhorn, zumindest nicht viele der höheren Schichten. Diese Dame setzte sich allein an einen Tisch und sorgte dafür, daß es dabei blieb. Ein angetrunkener Stammgast torkelte heran, beugte sich näher und erbot sich, sich zu ihr zu setzen. Aber eine lange Hand löste sich aus den schwarzen Gewändern, und ihre gleichmütige Geste bedeutete ihm, daß sie alleingelassen werden wollte. Ein Ring glänzte, eine silberne Schlange. Mit verschwommenem Blick starrte der Betrunkene darauf, auf die makellos langen Nägel, in die dunklen Mandelaugen unter der ins Gesicht gezogenen Kapuze. Da schien seine Benebelung noch stärker zu werden, so daß er all die hübschen Sprüche vergaß, die er sich ausgedacht hatte, ja sogar vergaß, den Mund zu schließen. Auf eine zweite Geste der schmalen braunen Hände vergaß er überhaupt alles und taumelte verwirrt weiter.
Magie, dachte Cappen, der in einer Nische neben der Hintertür saß. Irgendwie wurde in letzter Zeit Chaos im Einhorn spürbar,
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