Die Rache der Zwerge
Zyklen«, überlegte Tungdil und fröstelte. »Hat es seitdem Versuche gegeben, einen der Steine zu stehlen?«
»Mir ist nichts bekannt«, sagte Boindil und schüttelte den Kopf; der schwarze Zopf pendelte auf seinem Rücken wie ein langes Tau. »Es gibt keinen Magus und keine Maga mehr im Geborgenen Land, und damit gibt es keinen, der die Macht nutzen könnte.«
»Bis auf die Hand voll Famuli, welche bei dem Verräter Nöd'onn in die Lehre gegangen sind«, verbesserte Tungdil.
»Sie besitzen keine Kräfte. Die Magiequelle, sagt man, ist durch die Eoil ausgetrocknet worden und versiegt. Woraus sollten die Famuli ihre Kräfte beziehen? Außerdem ist ihre Ausbildung nicht abgeschlossen. Was können sie schon bewirken, Gelehrter?«
Tungdil sparte sich eine Entgegnung. Er war bei dem Magus Lot-Ionan und in dessen Schule aufgewachsen; er kannte die Fähigkeiten der Magischen. Aber da sich lange Zeit nichts gerührt hatte, schloss er sich der Zuversicht seines Freundes an. Zu viel Schwarzseherei stand selbst ihm nicht gut an. »Lass uns nach un- ten gehen. Der Frühling lässt am Nordpass noch auf sich warten.« Er warf einen Blick zu den majestätischen Bergkämmen, wo der Wind Schnee von den Felsen blies und den Gebirgen weiße Fahnen anheftete. »Ich freue mich auf ein warmes Bier mit Met.«
Sie stiegen die Treppen nach unten.
»Wie geht es Balyndis?«, erkundigte sich Boindil, als sie den Turm verlassen hatten und auf den Stollen zugingen. »Was tut die beste Schmiedin des Geborgenen Landes?«
»Sie trauert«, sagte Tungdil bitter und so abweisend, dass der Krieger nicht wagte, weiter zu fragen. Vorerst. Stumm liefen sie nebeneinander her und suchten ihre Quartiere.
»Pst! Tungdil Goldhand!«, drang es plötzlich leise aus einer spaltbreit geöffneten Tür. »Hast du einen Augenblick?«
Boindil runzelte die Stirn. »Was soll die Geheimniskrämerei?« Er ging voran, stieß die Tür auf, eine Hand an den Griff des geschulterten Krähenschnabels gelegt. »Zeig dich, wenn du ein ehrliches Anliegen hast!« Eine Frauenstimme rief erschrocken auf, da sie den Zwilling nicht bemerkt hatte. »Du kannst kommen, Gelehrter. Sie ist harmlos«, sagte Boindil über die Schulter hinweg.
Tungdil trat an ihm vorbei in den Raum, in dem eine Zwergin stand. Sie trug einfache Kleidung und hatte sicherlich dreihundert Sonnenzyklen erlebt. »Was möchtest du?«
Sie neigte das ergraute Haupt vor ihm. »Verzeih mir, dass ich dich angesprochen habe, aber... stimmt es, was ich gehört habe? Dass du ins Jenseitige Land gehst?«
»Das ist kein Geheimnis.«
»Ich bin Saphira Eisenbeiß.« Sie zögerte, schlug die Augen nieder. »Darf ich dich um einen Gefallen bitten?« »Soll er dir etwa ein Andenken aus dem Jenseitigen Land mitbringen?«, meinte der Zwilling spöttelnd. »Meinen Sohn, wenn ihr ihn findet«, stieß sie hervor und packte verzweifelt Tungdils Rechte. »Ich bitte dich, halte deine Augen nach ihm offen! Sein Name ist Gremdulin Eisenbeiß aus dem Clan der Eisenbeißer. Er ist ungefähr so groß wie du, er trägt einen Helm mit einem goldenen Mond über der Stirn ...«
»Ich dachte, es wurden keine Späher ausgesandt?«, wunderte sich Tungdil, dessen Neugier erwachte. Misstrauen loderte in ihm empor. Er traute Gla'imbar durchaus zu, ihn in eine Falle laufen zu lassen, vielleicht als eine Art späte Rache, dass er Balyndis erobert und sie sich über alle Grenzen der zwergischen Bräuche hinweggesetzt hatte.
»Er war kein Späher, er hatte Wache am Tor«, sagte sie leise und rang mit der Fassung. »Seine Freunde erzählten mit, dass er ein verdächtiges Geräusch gehört hatte und nachsehen wollte.«
»Am Tor?«, schaltete sich Boindil ein.
»Nein. Angeblich kam es von oberhalb der Pforte. Ein rollender Stein oder so etwas.« Ihre Augen wurden feucht. »Das ist das Letzte, was sie von ihm wissen.«
Tungdils Herz war gerührt, aber nicht erschüttert. Er kannte den Zwerg nicht einmal, um den es ging. »Wann war das?«
»Vor einem halben Zyklus«, schluchzte sie. »Ich bin mir sicher, dass die Ungeheuer Tions ihn entführt haben, Tungdil Goldhand. Wenn ihn einer befreien kann, dann du.« Sie küsste seine Hand. »Ich bitte dich, bei Vraccas! Rette ihn, wenn es dir möglich ist!« Die Tränen brachen aus ihr hervor, sie sank vor ihm auf die Knie. Boindil taten seine schnellen Worte von vorhin Leid. Er hatte sie zu Unrecht verdächtigt, mit einem lächerlichen Wunsch an seinen Freund heranzutreten. »Wir werden die Augen offen halten, gute
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