Die Rache des Chamäleons: Thriller
wissen?«
»Dann erinnerst du dich also?«
»Ich erinnere mich an den Strand.«
»Er hat meinen kleinen Bruder umgebracht!«, sagte Aitor laut.
Peter schwieg. Sie saßen im Dunkeln. Jetzt war es nicht mehr so eilig, irgendwohin zu fahren. Wir wollen nirgendwohin, dachte er. Dies ist das andere Ende des Tunnels. Er schaute zum Horizont. Der war im Abend versunken, über Afrika war es schwarz. Ich befinde mich am Ende des Tunnels, und das Licht ist fort, dachte er. Ein entsetzlicher Gedanke.
Aitor beugte sich zu ihm herüber. Sein Gesicht wurde angeleuchtet, als sich der Fahrer vorn eine Zigarette anzündete.
»Und du bist von der Bühne verschwunden, mein Peter. Wie hast du das geschafft? Das habe ich mich immer gefragt.«
»Ich hatte Glück.«
»Glück? GLÜCK ?«
»Sie haben mich nicht gesehen. Ich war schon oben … am Weg. Ich habe mich in den Dünen versteckt. Hinter den Dünen.«
»Dort gibt es keine Dünen.«
»Es gab jedenfalls ein paar Hügel. Ich weiß nicht, wie du die nennst.«
»Ich glaube dir nicht. Und ich habe dich schon immer fragen wollen, was wirklich passiert ist. All die Jahre im Gefängnis habe ich gedacht, dass ich dich das eines Tages fragen werde.«
»Jetzt hast du es getan.«
Aitors Augen waren schmal geworden. Peter sah es, es war das Einzige, was er in der Dunkelheit sehen konnte.
»Ich könnte dich in diesem Augenblick umbringen«, sagte Aitor. »Wie man ein Eichhörnchen erschlägt.«
»Hast du im Gefängnis daran gedacht, Aitor?«
»Anfangs. Anfangs habe ich das gedacht.«
»Aber jetzt nicht mehr.«
»Nein, jetzt bin ich ruhiger.«
»Jetzt willst du jemand anderen umbringen.«
Aitor antwortete nicht.
»Ich kann es nicht tun«, sagte Peter. »Ich kann es nicht für dich tun.«
»Es geht nicht mehr um mich, mein Freund. Es geht um dich.«
»Es geht um Rache«, sagte Peter. »Es geht um uns beide, aber nicht allein um uns.«
Aitor nahm eine Schachtel dünner Zigarren aus seiner Jacketttasche und zündete sich eine an, ohne Peter eine anzubieten. Wieder wurde sein Gesicht von einer Streichholzflamme angeleuchtet, aber Peter konnte es auch ohne Licht sehen. Ihm stieg der bekannte Zigarrenduft in die Nase, und alles kehrte zurück, wie immer, wenn sich eine Geruchserinnerung meldet. Das Vergangene einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort steht plötzlich vor einem, einer guten Zeit, einer bösen Zeit, einem guten Ort, einem bösen Ort.
»Du hast mich gezwungen hierherzukommen, mir keine Wahl gelassen«, sagte er. »Du hast Kontakte in Schweden, die meine Familie bedrohen. Ich bin gezwungen worden, meine Frau mitzubringen. Und jetzt willst du mich zwingen, einen Fremden zu töten. Ich frage mich ernsthaft, ob es sich dabei um einen schlechten Scherz handelt.«
Aitors Hand schoss vor und packte Peter am Hemdkragen. Peter spürte, wie er sich um seinen Hals zusammenzog. Der Fahrer drehte sich um. Peter sah, dass er eine Pistole in der Hand hielt. Und Aitors Miene war nicht die eines Witzboldes.
»Der Tod meines Bruders war kein Scherz, du Scheißkerl! Der Tod der Kameraden war kein Scherz! Meine Jahre im Gefängnis waren kein Scherz!«
Peter versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, indem er sich nach hinten lehnte. Aitor ließ los. Er nahm die Hand weg und gab dem Fahrer ein Zeichen. Die Limousine schaukelte weiter. Sie fuhr durch eine Stadt, die in das Gelb der künstlichen Beleuchtung getaucht war.
Sie waren wieder im Zentrum.
Vor den getönten Scheiben flanierten Menschen vorbei. Es war wie der Blick aus einem Gefängnisfenster auf das Leben außerhalb der Mauern. Aitor und Peter hatten die Plätze getauscht. Das war der erste Schritt.
»Was glaubst du, wie ich dich gefunden habe, Peter Mattéus? Du wolltest verhindern, dass wir dich finden, nicht wahr?« Aitor lächelte. Jetzt wirkte er wieder ruhig. »Warum hast du deinen Namen geändert?«
»Ich musste vorsichtig sein. Das ist doch logisch. Ich war involviert, durch dich, zum Beispiel. Ich musste weggehen und … ein neues Leben beginnen.«
Aitor lachte auf. Es klang wie ein Zischen.
»Und jetzt bist du wieder ›involviert‹, Amigo. Einmal kann man weglaufen, aber man kann nie zweimal vor seiner Verantwortung davonlaufen, wie man sagt.«
»Wer sagt das?«
»Halt’s Maul!«
Die Limousine hielt vor einer Bar, auf dem Bürgersteig standen Stühle und Tische.
Peter sah, wie sich Aitors Hände ballten und wieder öffneten, sich ballten und wieder öffneten. Er spürte ein Ziehen um den Hals.
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