Die Rache des Chamäleons: Thriller
ihr.
Iker Aurtenetxe stellt den Karton auf dem Fußboden ab. Er kommt um die Theke herum. Jetzt steht er vor Peter.
»Ich bin jetzt ein anderer«, sagt er.
»Ich auch.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Wer war ich früher?«
»Das weiß ich auch nicht mit Sicherheit.«
»Ich bin nicht freiwillig hier.«
»Ich weiß.«
»Wer hat es dir erzählt? John?«
»Nein.«
»Dann muss es Aitor gewesen sein.«
»Nein. Ich habe nichts mit Aitor zu tun.«
»Es kann kein anderer gewesen sein«, sagt Peter.
Iker legt ihm eine Hand auf die Schulter.
»Ich werde für dich beten«, sagt er.
Er bleibt in der Bar Azul. Iker ist wieder verschwunden. John ist nicht zurückgekehrt. Das Lokal ist leer, es hat noch nicht geöffnet, aber das ist relativ. Wer Durst hat, betritt den kühlenden Schatten. Er könnte sich eine caña zapfen, das hat er früher auch getan.
Das Gesicht in dem Spiegel neben den Flaschen ist sein Gesicht. Zehn, fünfzehn Jahre jünger. Neben seinem ein anderes Gesicht. Auch jünger, aus der Zeit, als diese Geschichte begann. Er ist zurück, er kommt immer zurück.
Damals war Jesús in Zivil. Sie saßen in der Bar Azul, und sie waren allein. Warum war sonst niemand da? Wo war John? John muss es gewusst haben. Wer sonst noch? Wussten es alle? Spielte das eine Rolle?
Jesús beugte sich über den Tisch. Seine Stimme war ein Flüstern.
»Es ist ganz einfach. Ja oder nein.«
»Habe ich eine Wahl?«
»Nein. Eigentlich nicht.«
»Und wenn ich mich für Nein entscheide?«
»Spanische Gefängnisse sind nicht angenehm.«
»Dann nehme ich an, die Antwort ist Ja.«
»Gute Antwort.«
»Was passiert … danach?«
»Mach dir deswegen keine Sorgen. Um dich brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
»Es wird Verletzte geben.«
»Das will ich nicht hoffen.«
»Menschen werden verletzt. Vielleicht passiert Schlimmeres.«
»Nein, wir werden sehr rasch agieren.«
Jesús hatte den Verräter angeschaut.
»Und das wirst du auch tun.«
Da war sie hereingekommen, in die Bar. Sie hatten sich umgedreht, beide gleichzeitig. Hatten sie einander wirklich gegenübergesessen?
Rasch durchquerte sie das leere Lokal. Hatten nicht Stühle auf den Tischen gestanden? Es hatten Stühle auf den Tischen gestanden. Es muss Vormittag gewesen sein. Draußen war es sehr heiß gewesen. Der August ging in den September über. Die heißeste Periode des Jahres.
Sie legte eine Hand auf seine Schulter. Er hatte sie dort gespürt wie einen Trost, eine kühle Erinnerung an Liebe. An Freiheit. Leben vielleicht. Ja.
»Ich konnte etwas eher kommen«, sagte sie.
Jesús war aufgestanden und hatte sich wie ein caballero verbeugt.
»Guten Tag, mein Name ist Jesús.«
»Guten Tag, ich bin Naiara.«
»Jesús ist ein Freund«, hatte er gesagt.
Sie hatte genickt und war in das Hinterzimmer gegangen.
»Wer war das?«, hatte Jesús gefragt.
»Naiara.«
»Das habe ich gehört. Aber was macht sie?«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Was macht sie hier?«
»Sie arbeitet in der Bar.«
»Ich habe sie noch nie gesehen. Sie ist nicht von hier. Sie stammt aus dem Norden. Sie ist eine vasca .«
»Ich weiß es wirklich nicht.«
»Sie kommt aus den baskischen Provinzen.«
»Na und?«
Jesús hatte gelacht, ein plötzliches, brutales Lachen.
»Sie ist deine Freundin, oder?«
Jesús spricht vor einer Menschenansammlung auf der Plaza de la Iglesia. Er steht auf einer provisorischen Bühne. Es ist Wahlkampf, Bürgermeisterwahlkampf. Die Ziegelmauer hinter der Bühne ist vollständig von Bougainvilleen bedeckt. Jesús hält ein Mikrophon. Es wirkt seltsam groß in seiner Hand. Das Mikrophon sieht nicht aus wie ein Mikrophon.
Naiara steht auch auf der Bühne, nur wenige Meter von Jesús entfernt. Sie lächelt.
Rechts und links neben der Bühne haben sich zwei Leibwächter postiert und beobachten das Publikum durch ihre dunklen Brillen.
Peter hat sich unter die Zuhörer gemischt, Jesús’ Rede aber nicht zugehört. Jetzt hört er zu.
»… und es ist ein absolutes Grundrecht, sich in der Gesellschaft, in der man lebt, sicher zu fühlen. Sicherheit! Sicher vor dem verabscheuungswürdigen Terror, der wieder über unser Land hereingebrochen ist. Und nun sogar an unserer eigenen Küste!«
Jesús bewegt sich über die Bühne, er wechselt das Mikrophon in die andere Hand.
»Es gibt Individuen, die sich nicht an die Gesetze halten wollen, die wir alle befolgen müssen. Sie missachten menschliche und moralische Werte, die unabdingbar
Weitere Kostenlose Bücher