Die Rache des Chamäleons: Thriller
herüber. In einer anderen Zeit hätten wir gegrillte Sardinen essen können, denkt er. Der Rauch ist so blau wie die Haut der Sardinen. Alles auf dieser Welt färbt auf alles ab.
Er wirft sich ins Meer.
Unter Wasser ist die Welt grün.
Hier kann ihm niemand etwas anhaben. Niemand sieht ihn. Vom Meer kommt nichts Böses mehr.
Er bleibt unter Wasser, bis er Luft holen muss.
An der Oberfläche ist das Licht stärker als in seiner Erinnerung. Er lässt sich treiben, atmet und geht über den steinigen Grund an Land. Millionen von Steinen aus dem Meer. Millionen von Jahren.
Hier braucht man Sandalen, Badeschuhe aus Gummi, wie sie auf der Strandpromenade angeboten werden, die hässlichsten Schuhe der Welt, aber praktisch, niemand will sich die Füße aufschneiden, Wunden im Urlaub sind unangenehm.
Die Volleyballgruppe hat das erste Spiel des Tages begonnen. Er hört ihr Lachen, ihre Rufe. Sie haben hier gespielt, seit er und Rita zum ersten Mal an den Strand gekommen sind.
Der Rauch über dem Strand scheint dichter zu werden.
Er sieht einige Gestalten, die sich am Wassersaum entlangbewegen. Zwei jüngere Männer kommen auf ihn zugejoggt. Sie tragen Trainingskleidung, T-Shirts, Shorts. Auf ihren Shirts steht ein Name, der Name des schwedischen Klempners, Kalle Valtonen AG . Er weiß, wer sie sind, er braucht ihre Gesichter nicht zu sehen, braucht sein eigenes Gesicht nicht zu sehen. In diesem Augenblick braucht er keine Erinnerungen.
12 Vier kleine Mädchen überqueren rasch einen Schulhof. Es ist ein trüber Tag, der schon dunkel wird, der erste Herbsttag. Das Laub der Bäume beginnt sich zu verfärben. Gestern haben die Mädchen abgefallene Ahornblätter mit nach Hause gebracht und ihren Müttern gezeigt.
Eins der Mädchen, das jetzt über den Schulhof läuft, hat ihr Herbstlaub gestern der Großmutter gezeigt. Das Mädchen heißt Magdalena Mattéus. Mama und Papa sind noch nicht aus dem Urlaub zurück. Morgen kommen sie wieder oder vielleicht auch erst übermorgen. Bestimmt übermorgen, keinesfalls später als übermorgen.
Die Mädchen haben die Fahrradständer erreicht. Magdalena und Linda gehen ein Stück gemeinsam die Straße entlang, dann muss Linda in eine andere Richtung abbiegen.
Magdalena dreht sich mehrere Male um. Hinter ihr ist ein Auto. Es fährt langsam. Irgendetwas stimmt mit dem Auto nicht. Als sie sich eben umgedreht hat, ist es stehen geblieben. Als sie weitergeht, hört sie, dass es wieder fährt. Das Auto scheint nicht in Ordnung zu sein. Es hustet, als hätte es eine Erkältung.
Zu Hause an der Gartenpforte dreht sie sich noch einmal um. Aber es ist kein hustendes Auto mehr da. Es ist wieder geheilt, denkt sie. Das ging schnell.
Sie steigt die Treppe zur Veranda hinauf und öffnet die Haustür. Sie hat riesigen Hunger. Den hatte sie noch nicht, als sie von der Schule losgegangen ist, aber jetzt hat sie großen Hunger. Heute hat es in der Schule wieder nichts Gutes zu essen gegeben. In der Schule gibt es nie, nie, niemals gutes Essen. Darum isst sie immer nur ein Butterbrot. Man kriegt großen Hunger, wenn man in der Schule nur ein Butterbrot isst.
»Oma!«, ruft sie. »Ich bin zu Hause, Oma!«
Sie bekommt keine Antwort. Sie steht in der Diele. Im Haus ist es ganz, ganz still.
»Oma? Isa? Wo seid ihr?«
Sonst hört sie immer Geklapper aus der Küche, wenn sie nach Hause kommt. In der Küche klappert es immer, wenn die Großmutter bei ihnen ist.
Draußen auf der Straße hört sie ein Auto. Sie hat die Tür nicht hinter sich zugemacht. Vor der Pforte hält ein Auto.
Es hat angefangen zu regnen. Fast wäre ich nass geworden, denkt sie.
Niemand steigt aus dem Auto aus. Der da drin sitzt, will nicht nass werden, denkt sie.
Sie ruft wieder:
»Hallooo? Oma?«
Keine Antwort.
»Warum antwortet ihr nicht? Habt ihr euch versteckt?«
Keine Antwort.
Eine Frau tanzt auf der Bühne. Sie sieht dabei sehr energisch aus. Wer Flamenco tanzt, muss energisch aussehen. Und stolz, wer tanzt, muss stolz aussehen. Sie stampft mit den Fersen auf den Holzfußboden. Das Stampfen klingt wie Hammerschläge.
Drei Gitarristen stehen hinter der andalusischen Tänzerin und spielen. Wenn man sie so nennt, Tänzerin. Naiara weiß nicht, wie man sie nennt, es ist ihr egal, aber sie denkt trotzdem darüber nach. Intensiv denkt sie darüber nach, wie es heißt, wenn eine Frau einen stolzen Tanz auf einem Holzfußboden stampft.
Jesús klatscht rhythmisch den Takt mit. Er kann dem Rhythmus folgen, er stammt von
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