Die Rache des Kaisers
gefunden.
»Vielleicht komm ich wieder vorbei.«
Caonabo hatte mich umarmt und gesagt: »Viel Glück. Ah, wenig Unglück, Herr und Freund. Und wenn du weißt, wo du dich länger aufhalten magst, schreib mir.«
Der Große Alberto hatte geschwiegen, nur traurig gelächelt und den Kopf geschüttelt.
Ich wußte, wenn ich wieder zur Miralda käme, wäre ich willkommen. Aber ich hatte anderes vor. Danach? Ich wußte es nicht.
In Koblenz wollte ich Ohm Krischan aufsuchen; ich hoffte, mit dem, was ich inzwischen wußte, bessere Fragen stellen und vielleicht mit seiner Hilfe bei den Ämtern des Kurfürsten etwas herausfinden zu können.
Aber Ohm Krischan war gestorben, vor zwei Jahren. Der neue Amtmann gab mir einen Brief, den Krischan für mich hinterlassen hatte. Ich setzte mich ans Rheinufer, erbrach das Siegel und las; dann riß ich den Brief in kleine Fetzen und warf ihn ins Wasser.
Es war ein langer, düsterer Brief. Nein, nicht düster - er war voll von unendlicher Trauer und Reue. Er habe etwas getan und etwas unterlassen, schrieb er. Unterlassen, es mir zu sagen; deshalb wolle er es nun aufschreiben in der Hoffnung, daß ich es zu Gesicht bekäme.
Und getan? »Dein Vater war kein Verräter, Jakko. Er war ein kluger Mann, der wußte, daß sich im Reich, in Deutschland, vieles ändern, daß vieles reformiert werden muß. Er wollte die Fürsten und die Bischöfe schwächen, und er hatte Verbündete, sogar im Adel, die dies Bündnis ebenfalls mit dem Leben bezahlt haben. Und er sah voraus, daß das Reich unter einem Habsburger entweder von sich aus stärker würde als zuvor, oder daß es zu langen - möglicherweise stärkenden, sicherlich blutigen - Kriegen gegen Frankreich und den anderen Thronanwärter kommen mußte. Beides würde die nötigen Veränderungen unmöglich machen. Dies wollte er verhindern. Als Wochen vor der Wahl feststand, daß die Kurfürsten nicht für François stimmen würden, hatte
er eine Ahnung - daß ihm vielleicht eine Art von Rache oder Strafe drohen könnte. Deshalb die Flucht in das abgelegene Tal. Dies geschah Ende Mai 1519. Karl wurde am 28. Juni gewählt. Dein Vater hat mich angewiesen, niemandem je zu verraten, wo er sei; und mir hat er es nur gesagt, weil einer Bescheid wissen mußte, um ihn zu benachrichtigen, wenn etwa eine allgemeine kaiserliche Vergebung ausgesprochen würde oder dringende Dinge zu erledigen seien. Als dann Ende September ein Priester und ein orientalischer Fürst nach ihm fragten und sagten, es gehe um unaufschiebbare Geschäfte für den Papst, habe ich ihnen gesagt, wo sie ihn finden konnten. Der Priester hatte ein Brandmal auf der Stirn. Und der Fürst war dein Herr Kassem. Hast du dich nie gefragt, Jakko, warum er zufällig gerade an jenem Tag gerade im Wald oberhalb des Dorfs war, wo es keine Straße gibt, wo kein Reisender zufällig vorbeikommt? Er war dort, um zu sehen, ob der Auftrag ausgeführt würde. Die Soldaten wußten wohl nichts von ihm; einfache Männer, brave Christen, der Teufel soll sie holen, die vielleicht nicht gehorcht hätten, wenn einer aus dem Lager des Feindes der Christenheit dabeigewesen wäre. Und er hatte in Europa noch viel zu erledigen und durfte nicht bei einer solchen Verrichtung gesehen werden … Ich habe es nicht gewollt. Die schlimmste aller Rechtfertigungen. Vielleicht wirst du mich verfluchen, vielleicht wirst du, wenn du genug Blut vergossen hast, mir vergeben. Ich kann mir nicht vergeben.«
Mein leiblicher Vater ermordet. Daß er kein Verräter gewesen war, daß ich seine Gründe begriff und billigte, bedeutete viel - aber doch so wenig gegenüber dem Wissen, daß mein geliebter zweiter Vater, Kassem, dem ich so viel verdankte, der Mann war, der die Mörder zu ihm brachte. Führte.
Hatte Avram etwas gewußt? Vielleicht ja, vielleicht nein. Jorgo hatte gewußt, oder geahnt, und seine letzten Worte, warum hast du mich nie … , konnte ich nun ergänzen: Warum hast du mich nie gefragt? Gefragt, ob er etwas wußte; gefragt, warum sie an jenem Morgen »zufällig« dort im Wald gewesen waren; gefragt, warum er und Avram darum bitten mußten, daß ich überleben und sie begleiten durfte.
Seit jenem Abschiednehmen in Venedig hatte ich Kassems goldenen Ring mit dem grünen Stein bei mir getragen: selten am Finger, meistens in einer Innentasche. Ich nahm ihn heraus, wog ihn einen Moment in der rechten Hand, wo er für diesen kurzen Augenblick die Narbe von Zamoras Messer verdeckte. Dann schleuderte ich ihn in den
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