Die Rache des Kaisers
geschwärzten Balkenstück nieder. »Ich weiß nicht, ob Dschinn oder Ifrit - die Alten aus dem Norden hatten einen boshaften Gott namens Loki, der allen gern schäbige Streiche spielte. Vielleicht war der hier.«
»Hat er sein Wasser abgeschlagen?« Avram warf einen Blick auf die Öffnung des einen Beutels, aus dem das aufgequollene, von zerlaufener Tinte verfärbte Papier ragte.
»So ähnlich.«
»Und die Münzen?«
»Feucht, einige sind ein wenig verdreckt und verfärbt, aber Gold und Silber rosten ja nicht.«
Kassem nickte. »Ein Teil deiner Hoffnungen, aber der andere war ebenso wichtig, nicht wahr?«
»Fast wichtiger.«
Jorgo kam zu uns; mit dem Daumen wies er über die Schulter zum Talausgang. »Ich dachte, ich hätte was gesehen, aber das war wohl eine Täuschung. Und du, Junge, mußt noch viel lernen - was kann denn wichtiger sein als Gold und Silber?«
»Kenntnisse«, sagte Avram. »Mit deren Hilfe man die rostige Vergangenheit erschließen und eine goldene Zukunft bereiten kann.«
»Man könnte«, sagte Jorgo mit einer Grimasse, »durch Gold und Silber auch zu Kenntnissen gelangen.«
»Es ist also nichts zu entziffern?«
»Nein, mein Vater. Nur hier und da einzelne Zeichen, die nicht verschwommen sind, aber keinen Sinn ergeben. Ich werde also nicht erfahren, was mein Vater … mein leiblicher Vater getan hat, warum wir uns hier verbergen mußten, wen ich nach Gründen fragen könnte.«
»Laßt uns essen«, sagte Avram. »Mit vollem Bauch denkt man fröhlicher.«
Er hatte aus Fleisch-, Brot- und Gemüseresten eine dicke Suppe gekocht, die zwar nicht schmackhaft war, aber die Mägen füllte und uns eine Weile vom Reden abhielt.
»Und jetzt?« sagte Jorgo, als wir den Topf geleert hatten.
Er stand auf, um die Näpfe und den Kessel zu spülen; dabei sagte er über die Schulter: »Ich meine, wir haben ja diesen Umweg gemacht, damit du suchen kannst. Was tun wir jetzt? Herr?«
Kassem blickte zum Talausgang. »Wir reiten; es gibt keinen Grund, länger zu verweilen.«
»Ja, aber wohin?«
»Nach Süden.« Er schien einen Augenblick zu zögern. »Im Frühjahr«, sagte er dann, »finden wir vielleicht einen Hafen, vom dem aus uns ein Schiff in den Osten bringt.«
»Italien?« sagte Avram. »Von Venedig nach Zypern und von dort - heim?«
»So oder ähnlich. Und sobald ich an Bord eines Schiffes gehe«, setzte er nach kurzer Pause hinzu, »enden alle Verpflichtungen. Wer will, mag mich begleiten, aber ihr seid dann frei.«
Avram und Jorgo blickten einander an; jeder schien darauf zu warten, daß der andere etwas sagte.
»Frei?« sagte Jorgo schließlich. »Herr, in deinem Dienst waren wir immer frei; wie sollen wir die Knechtschaft ertragen, ungebunden und ohne dich zu sein?«
»Das könnt ihr noch eine Weile erörtern, bis Venedig«, sagte ich. »Da wir aber gerade davon sprechen, möchte ich etwas anderes bereden. Und beenden.«
»Beenden? Was beenden?« Jorgo kniff die Brauen zusammen und starrte mich beinahe finster an. Avram schwieg, aber um seinen Mund zuckte etwas, das vielleicht ein listiges Lächeln hätte werden können. Er unterdrückte es und blickte zu Kassem.
Ich kniete vor dem Araber nieder. »Herr«, sagte ich, »Vater - und ihr auch, meine Brüder. Euch gegenüber trage ich
eine Dankesschuld, die ich nicht begleichen kann; ich werde sie bis an mein Ende hegen. Ihr habt mir das Leben gerettet und mich in all dem unterwiesen, was ich brauche, um jene Ziele zu erreichen, die ich mir gesetzt habe. Dafür kann ich euch nie ausreichend danken. Etwas anderes ist jene Schuld, die man begleichen kann, wenn die Umstände es gestatten, und dieser Beutel« - ich berührte den kleinen Ledersack, in dem die Münzen lagen - »macht es mir möglich. Du, Vater und Herr, hast mich fünf Jahre lang gelehrt und genährt und gekleidet. Und ganz gleich, ob in Venedig oder vorher, ich kann mich nicht von dir trennen, mich nicht frei fühlen, ehe dies beglichen ist. So laß denn zu, Vater, daß ich mich freikaufe.«
Viele Tage zuvor hatte ich begonnen, eine Art Rechnung aufzustellen; beendet hatte ich sie in Köln, mit der Hilfe eines Kaufmannsgesellen. Die Reinschrift, auf dickem gelblichen Papier, zog ich nun aus der Jacke und reichte sie Kassem.
»Du wirst sehen«, sagte ich dabei, »daß ich meine Handlangerdienste für dich nicht allzu hoch bewerte. Und da ich annehmen durfte, daß mein Vater vor allem rheinische Gulden besaß, habe ich alles in kurfürstlichen Florin berechnet.«
Kassem hatte
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