Die Rache des Kaisers
und riß auf der anderen Seite der Baumkrone das letzte Stück hoch, und mit diesem die Netze aus den verlassenen
Fischerhütten. Wenige Atemzüge, nachdem Karl den Keilstein gelöst hatte, baumelten die Arkebusiere zwei Mannshöhen über dem Weg.
Aus der Ballung von Körpern und Gegenständen drangen Flüche und Schreie; hier und da regneten Münzen, aus der Scheide gerutschte Messer und sogar ein Degen herab. Jorgo und ich - beide mit Tüchern vor Mund und Nase - verließen unsere Verstecke und liefen zum Karren, auf dem der Mönch und der Schreiber wie erstarrt saßen. Wir zwangen sie, vom Bock zu steigen, und fesselten sie aneinander. Die Arkebusen und die übrigen Waffen warfen wir auf den Karren, bis auf ein Messer, das ich in Brusthöhe in einen Baumstamm rammte. Wenn der Fugger und der Dominikaner sich nicht allzu ungeschickt anstellten, würden sie sich und die Arkebusiere damit befreien können. Doch würde es ohne Zweifel einige Zeit dauern.
Jorgo stieg auf den Bock und trieb die Pferde an; ich ging langsam hinterher und beobachtete den zappelnden Fang im Netz. Die Flüche waren verstummt, aus dem Schreien war Stöhnen geworden, und den Bewegungen entnahm ich, daß irgend jemand in diesem Knäuel aus Gliedmaßen versuchte, Raum nicht nur zum Atmen, sondern zur Benutzung der Hände und wahrscheinlich eines Messers zu erhalten. Aber auch das würde dauern.
Karl hatte den Felsen verlassen und brachte unsere Pferde weiter östlich zum Weg. Während ich das baumelnde Netz im Auge behielt, spannten er und Jorgo die beiden Zugtiere aus, beluden sie mit den Vorräten vom Karren und benutzten die Arkebusen dazu, die Schlösser und Riegel der Truhe mit den Ablaßgeldern zu zerschießen. Den Inhalt nahmen wir an uns, um ihn später zu zählen und zu verteilen; es waren nicht ganz vierhundert Gulden. Dann zerbrachen wir
die Arkebusen, verbogen die nicht zu brechenden Metallteile und legten alles mit einigem Schießpulver auf den Karren. Ich zerriß und knäuelte einige Ablaßbriefe, während Jorgo Feuer schlug und einen Zweig in Brand setzte, den er aus ein paar Schritten Entfernung auf den Karren warf. Wir schwangen uns auf die Pferde und ritten los, wobei wir die neuen Packtiere hinter uns her zogen. Als alles mit einem dumpfen Knall hochging und zu lodern begann, waren wir schon weit genug entfernt.
»Nettes Feuerwerk«, sagte Jorgo. Er nahm das Tuch vom Gesicht und steckte es ein. »Guter Einfall, Jakko. Und jetzt?«
»Auf nach Augsburg.«
DREIZEHN
W ir kamen nachmittags an. Die Männer am Stadttor rieten uns, »weitgereiste Fremde« in den Schänken an der großen Handelsstraße zu suchen. Kurz vor Sonnenuntergang fanden wir Kassem und Avram in einem Gasthaus nordwestlich von Augsburg, am Rande des Vororts Kriegshaber. Nach herzlicher Begrüßung kümmerten wir uns zunächst um eine Unterkunft. Der Wirt nannte uns nach einigem Feilschen einen vertretbaren Preis für eine Kammer im Hinterhaus, über den Pferdeställen. Wir versorgten unsere Tiere und brachten Taschen und Beutel in den Schlafraum. Dort gab es ein breites, lederbespanntes Bettgestell, mehrere Strohsäcke, einen niedrigen Tisch, einen Wasserkrug und zwei Schüsseln.
Nachdem wir uns ein wenig erfrischt hatten, begaben wir uns in den Schankraum. Beim Essen berichteten wir von den Wirren und Wegen, und mit Rücksicht auf Karl sprachen wir Deutsch.
Kassem und Avram hatten sich Händlergruppen angeschlossen, die mit bewaffnetem Geleit immer am Rand der Kampfgebiete entlangzogen, die nächsten Nachrichten abwarteten, rasteten, bis der Weg sicher schien, dann weiter zur nächsten Rast.
»Es hat Zeit und Geld gekostet«, sagte Kassem. »Aber nun sind wir hier, und es ist gut, euch zu sehen.«
»Wir mußten uns bei den Händlern immer einkaufen.« Avram blinzelte und hob den Becher. »Auf die Habgier der
Reisenden! In diesem Fall bedeutete sie Schutz. Aber ihr habt ja einiges erlebt! Ich kann nicht sagen, daß ich gern dabeigewesen wäre.«
»Warum seid ihr hier, nicht in der Stadt?« sagte Jorgo. »Sie soll doch reich und ansehnlich sein.«
»Fremde sind nicht überall willkommen«, sagte Kassem. »Es sei denn, sie hätten Geschäftsfreunde. Aber dann wären sie ja keine Fremden.«
»Vor fünfundachtzig Jahren«, sagte Avram, »haben sie die Juden aus der Stadt gejagt, und die haben sich dann hier niedergelassen. Juden, Händler, Kaufleute - hier ist es ein bißchen weltoffener als beim frommen Herrn Fugger und den ebenso frommen Zünften
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