Die Rache des Kaisers
stellten sich als wahr heraus und viele Berichte als erlogen. Wir hörten von großen Siegen des Volkes, das sich gegen die Unterdrücker erhoben hatte, und erfuhren bald darauf, daß die getrennten Bauernheere einzeln
aufgerieben und vernichtet worden waren. Florian Geyer wurde von Knechten seines Schwagers in einem Wald bei Würzburg umgebracht; Götz von Berlichingen leitete kurze Zeit als Feldhauptmann gezwungen »unseren« Haufen, verließ ihn aber bei der ersten Gelegenheit. Die Wege, die wir ritten, wurden von schweifenden Bauern ebenso verheert wie von marodierenden Landsknechten im Fürstendienst, und wir versuchten, zu überleben und zuerst westlich, dann östlich des Rheins mit heiler Haut voranzukommen.
»Wir brauchen Geld.« Es war Abend, wir lagerten in einem verlassenen Steinbruch, und Karl sagte wahre Worte.
»Das stimmt.« Jorgo schnitt ein Stück von dem Speck, unserem letzten Vorrat, hielt es hoch und betrachtete es. »Du dauerst mich«, sagte er halblaut. »So einsam gefressen zu werden. Wieviel haben wir denn noch?«
»Für fünf, sechs Tage reicht es«, sagte ich. »Aber nur, wenn wir auf Schwelgereien wie Wein verzichten und uns mit altem Brot begnügen.«
Karl runzelte die Stirn. »Bei Bauern betteln? Die haben selbst nichts. Pfaffen zausen?«
»Die sind alle gezaust worden.« Ich überlegte. »Wollen wir arbeiten?«
»Wo? Für wen? Was? Meinst du, nach all dem Brennen und Morden der letzten Zeit gäbe es irgendwo Arbeit, die mehr einbringt, als sie kostet?« Jorgo schnaubte.
Ich lachte. »Arbeit, die mehr einbringt, als sie kostet? Da müßte man Händler werden. Oder Bankherr. Oder Pfründner. Alles andere genügt nicht zum Leben, sondern bestenfalls, das Sterben hinauszuschieben.«
»Pfründner …« Karl klang nachdenklich. »Oder so ähnlich. Zum Beispiel gestern, dieser Ablaßprediger in Tuttlingen.«
Jorgo und ich sahen einander an.
»Ich meine« - Karl räusperte sich -, »also, so ein Ablaßhändler wäre doch …«
Ich schloß die Augen und erinnerte mich an den Anblick. Der hagere Dominikaner mit den glimmenden Augen, neben ihm der jüngere Mann, der ganz gewöhnlich aussah, der Karren mit der eisenbeschlagenen Truhe, die Laden mit unterschiedlichen Ablaßbriefen. Und sechs Arkebusiere, die alles bewachten und sich mürrisch über den Marsch und das nächste Ziel unterhielten. Der Mönch wollte nicht die sichere, große Straße über Meßkirch nach Osten nehmen, sondern über Treidelpfade und Waldwege südlich der Donau Richtung Sigmaringen, um Dörfer und Weiler zu besuchen, die vermutlich lange keinen Ablaßhändler gesehen hatten. Und später irgendwann nach Ulm, hatte einer der Arkebusiere gemurmelt.
»Schlag es dir aus dem Kopf«, sagte Jorgo.
»Warum? Hat einer von euch Bedenken?«
»Bedenken? Wegen der Zahlen, Mann! Der Mönch ist sicher zäh, und der Fuggerschreiber zählt wohl nur halb. Aber sechs Mann mit Arkebusen? Wir sind nur drei.«
»Ich habe Bedenken«, sagte ich mit einigem Nachdruck. »Nicht dagegen, jemandem, der viel hat, etwas wegzunehmen. Wir leben in würdelosen Zeiten; da kommt es darauf nicht an. Aber ich will weder arme Bauern ausplündern noch Witwen und Waisen bestehlen. Und ich will nicht zum Mörder werden.«
Karl rümpfte die Nase. »Mörder? Du hast doch schon getötet.«
»Ich habe gekämpft und dabei getötet. Das ist etwas anderes als ein Hinterhalt. Wir müßten acht Männer töten, von denen keiner uns etwas getan hat.«
Jorgo nickte langsam. »Und die Arkebusiere sehen nicht so aus, als ob sie auf Gegenwehr verzichten würden.«
Meine Gefährten, alte Krieger, schienen die Dinge anders zu sehen als ich. Für Geld zum Mörder werden … Ich wollte es auf keinen Fall, und zu zweit würden sie kaum gegen die ganze Truppe des Ablaßhändlers antreten.
Trotzdem war die Truhe des Dominikaners irgendwie verlockend. Ich hatte mich innerlich längst weit von allem entfernt, was mit den irdischen Vertretern des Himmels zusammenhing, und wie nah ich dem Himmel noch war, wußte ich nicht.
Über Ablaß hatte ich nie gründlich nachgedacht; die Frage hatte sich mir nie gestellt. Ich wußte natürlich, daß die Beichte, die Reue voraussetzt, mit einer Art Ablaß endet, der Lossprechung durch den Priester. Dieser mag ein Schurke sein, aber wenn er das Sakrament erteilt, ist er nur Werkzeug Gottes, und trotz aller Makel des Werkzeugs wird dem Losgesprochenen Gottes Gnade makellos zuteil. Ich wußte auch, daß der erkaufte Ablaß nur dann
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