Die Rache des Kaisers
über jedem Absatz ein Kruzifix gab. Als ich bereits zu befürchten begann, er werde mich zu einer Kreuzotterngrube in der Mitte eines ausweglosen Labyrinths bringen, hielt er vor einer fast schwarzen Tür, klopfte an, wartete. Er hörte wohl etwas, das ich nicht vernahm, öffnete die Tür, deutete in den Raum und verneigte sich.
Die Kammer war nach den düsteren Korridoren blendend hell. Als meine Augen sich an dies jähe Gleißen gewöhnt hatten, sah ich eine schlanke Gestalt mit beinahe jugendlich straffem Gesicht hinter einem Schreibtisch. Im Herzen des dunklen Labyrinths hatte ich nicht unbedingt den Minotaurus erwartet, aber doch ein runzliges, buckliges Ungeheuer mit hundert Jahren und einem einzigen verwaisten Zahn, der vielleicht das trübe Licht einer Kerze spiegelnd verminderte und einen finsteren Raum durch Schattenschründe unendlich unterteilte.
Die Schreibstube, in der Anton Kornberger zwischen Papieren und Folianten hauste, war beinahe wohnlich. Das große Fenster blickte auf einen Innenhof, und das fragende Lächeln, mit dem der Mann mich begrüßte, zeigte ein volles Gebiß.
»Was ist Euer Begehr, Herr?«
Ich räusperte mich und trat vor seinen Schreibtisch. »Zunächst die Bitte um Vergebung, falls ich Eure Zeit vergeude, da ich nicht weiß, ob ich bei Euch richtig bin.«
»Setzt Euch - und sagt, worum es geht.«
Ich zog einen Stuhl heran und ließ mich nieder; aus dem Wams holte ich die zerknitterten und befleckten Papiere hervor. »Mein Vater wurde vor mehr als fünf Jahren ermordet«, sagte ich. »Die Umstände und meine Jugend erlaubten es mir nicht eher, die von ihm hinterlassenen Papiere aus einem Versteck zu bergen. Leider waren sie durchnäßt und sind kaum noch zu entziffern.«
Kornberger kniff die Augen zusammen. »Wer hat Euch zu mir gewiesen?«
»Mein Herr und Ziehvater Kassem.«
»Ah. Gut. Sagt mir, wo hat Euer Vater gelebt?«
»In Koblenz. Aber er ist viel gereist.«
»Ich frage deswegen, weil ich für bestimmte Dinge zuständig bin; für andere gibt es andere Schreiber. Koblenz? Nicht mein Gebiet; aber wenn Euer Vater viel gereist ist, handelt es sich vielleicht nicht um … gewöhnliche Handelsgeschäfte?«
Ich hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich war zu jung, um viel zu sehen und zu begreifen, aber ich nehme an, es ging eher um Staatsgeschäfte.«
Kornberger schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Wann gab es zuletzt diese Geschäfte, und wie lautet der Name, unter dem sie verhandelt wurden?«
»Der Name meines Vaters ist Georg Spengler. Er starb anno fünfzehnhundertneunzehn; ob er in seinem Todesjahr noch mit Euch gehandelt hat, weiß ich nicht.«
»Bitte geduldet Euch einige Augenblicke; ich will sehen, was ich finden kann.«
Er verließ den Raum, ohne die Tür zu schließen. Ich zählte die Folianten in den Ständern an der Wand hinter seinem Schreibtisch, dann die rechts und links der Tür, dann die Stäubchen, die in einem Sonnenstrahl vor dem Fenster
tanzten. Als ich mich umdrehen wollte, um zu sehen, welche zählbaren Dinge an der Wand hinter mir sein mochten, kam Kornberger zurück. Unter dem linken Arm trug er ein dickes Rechnungsbuch, in der rechten Hand einen dünneren Umschlag, der einzelne Blätter zu enthalten schien.
»Der Mann, der sich damals um diese Dinge gekümmert hat, ist nicht mehr bei uns«, sagte er, »aber wir werden uns schon zurechtfinden, hoffe ich.«
Er setzte sich wieder hinter seinen Tisch, schlug das Rechnungsbuch auf, blätterte darin, brummte, dann nahm er die losen Blätter aus dem Umschlag. Ich konnte nicht sehen, was darauf geschrieben stand, aber ich sah einige Zeichen.
»Wenn ich mich nicht irre, ist das meines Vaters Handschrift.«
Kornberger blickte auf und lächelte. »Das mag sein, Herr, aber natürlich könnte jeder so etwas sagen. Könnt Ihr beweisen, daß Ihr der seid, als der Ihr Euch ausgebt?«
Ich reichte ihm einen gefalteten Bogen, auf dem der Amtmann der Stadt Koblenz bekundet hatte, daß Jakob Spengler, Sohn des Georg und der Gerwine Spengler, im Jahre 1504 geboren und rechtschaffener Untertan des Kurfürsten von Trier sei. Auf einem zweiten Bogen, den ich ihm gab, bestätigte der Amtmann, daß die Eltern und ihre übrigen Kinder im Jahre 1519 durch Mörderhand gestorben seien.
Kornberger prüfte das Schreiben, nickte und gab es mir zurück. »Euer Vater hat hier etwas hinterlassen«, sagte er. »Die Namen seiner Angehörigen, und wie zu verfahren sei, wenn einer der Angehörigen statt seiner
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