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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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oder Gifte schützen, aber wenn du ihn betrachtest, wird er dich daran erinnern, daß ein alter Mann dich geliebt hat. Deine Zukunft ist im Buch des Schicksals verzeichnet, Jakko. Wenn Allah deine Rache billigt, wird sie gelingen; wenn er sie mißbilligt, sind all deine Mühen vergebens. Ich hoffe, daß du bald wissen wirst, ob Mißbilligung oder Billigung dein Teil ist. Meine Billigung hast du.«
    Bald darauf erschien Karl. Er betrachtete unsere Gesichter und murmelte etwas von »Heulen, aber kein Zähneknirschen, wie?« Er stellte jedoch keine Fragen, sondern trank mit einer gewissen Gewalttätigkeit und sagte, er habe einen Händler aus Parenzo gefunden, der übermorgen auslaufen werde, und von Parenzo nach Capo d’Istria zu wandern sei für einen erfahrenen Marschierer geradezu erholsam.
    »Was ich vermissen werde, sind die alten Geschichten, frisch erzählt, und der Fortgang der neuen - deiner, Jakko.« Mit dem rechten Arm beschrieb er einen großen Bogen, der die Stadt, den Erdkreis und vor allem den Palazzo einschloß. »Was ich nicht vermissen werde«, setzte er hinzu, »ist diese Kanalrattenstadt, deren Häuser so verschlossen sind wie die
Herzen und Gesichter der Reichen. Und dieses Gemäuer, das innen und außen erneuert werden sollte.«
    Der Palazzo, den Kassem für einen Monat gemietet hatte, wirkte kränklich. Dort, wo Bohlen zu treten waren, knarrte alles wie ein lange nicht gewartetes Mühlrad; an anderen Stellen luden Fliesen, die den Boden bedeckten, entweder zum Tanzen und Schweben ein, da achtloses Gehen zu Sturz und Knochenbruch führen konnte, oder sie schienen sei es steinernes, sei es irdenes Ächzen nach Mitleid ob arger Versehrung und Gicht. Beim Essen beobachteten uns weiland kühne Jäger samt Meute und Beute, alle von Motten vermindert und siechen Alters; unter dem räudigen Wandbehang blätterte Putz, der Marmor zu sein behauptet hatte, von schartigen Steinen. Wer es sich leisten kann, seinen Palazzo zu pflegen, braucht ihn wahrscheinlich nicht zu vermieten.
    »Also übermorgen?« sagte Jorgo.
    »Übermorgen.«
    »Na gut.« Jorgo seufzte und blickte Avram an, dann mich. »Noch ein Abschied. Dieser Schrat wollte Einsiedler sein, weil Kaiser schon ein anderer ist, und da er nicht noch einmal Landsknecht werden mag, will er jetzt versuchen, eine Witwe zu trösten. Er behauptet, in der Gegend gäbe es noch mehr, und deshalb werde ich ihn begleiten.«
     
    Drei schwermütige Tage später saßen Avram und ich allein in dem weitläufigen Gemäuer, tranken Wein und starrten einander über den Tisch wortlos an. Venedig hatte sich tagsüber einen melancholischen grauen Himmel übergestülpt und diesen abends um Trauerregen ergänzt. Von oben hörten wir es tropfen, verzichteten jedoch darauf, das Leck im Dach zu suchen. Falls es sich nicht gar um ein Dutzend undichter Stellen handelte.

    »Nicht, daß er mir fehlte«, sagte Avram irgendwann mit halbschwerer Zunge, »aber ich stimme Jorgo zu, was diese Stadt angeht. Wie hat er sie genannt? Kanalrattenkaff?«
    »So ähnlich.« Ich öffnete eine weitere Flasche, goß mir ein und schob sie ihm über den Tisch. »Kanalrattenstadt«, knurrte ich, »mit Wänden voller Kanalrattenschatten.«
    Avram gluckste. »Aber der Kanalrattenschattenschrat ist nicht mehr da.«
    »Schlafen Ratten auf Matten? Werfen dabei Kanalrattenmattenschatten?«
    Er rülpste leise. »Das will erwogen sein. Wenn sich zwischen platten Schatten satte Ratten matt begatten …«
    »Wir müssen ja nicht hier bleiben«, sagte ich nach längerem Schweigen. »Was hast du vor?«
    Er schielte auf seinen Becher. »Trinken, bis die Schatten platzen. Und dann? Meinst du heute, morgen, demnächst, an meinem Lebensabend?«
    »Sowohl entweder als auch noch.«
    Avram hob die Schultern; er klang fast nüchtern, als er sagte: »Das Haus ist bis zum Monatsende bezahlt, aber das ist keine Verpflichtung. Man könnte umziehen. Und danach? Ich weiß nicht … Ich habe darüber nachgedacht, aber bis jetzt nichts gefunden. Und du? Deine Rache? Oder was?«
    »Morgen fange ich an zu suchen. Dann sehen wir weiter. Du kannst mir ja suchen helfen, wenn dir nichts anderes einfällt.«
    »Schatten begatten«, murmelte er. »Deine Rache beschatten. Durch die Kanäle deiner Racheratten waten.«
    »Suchen helfen«, wiederholte ich. »Und mir Italienisch beibringen. Das, was ich bisher aufgeschnappt habe, reicht allenfalls, um Leute zu beleidigen.«

    »Ah!« Er nickte heftig und verdrehte die Augen. »Eine

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