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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Schaubild meiner Seele.
    Doch ist dies nicht die Geschichte meiner Seele oder meiner Empfindungen; daher mag eine kurze Erwähnung jener Dinge genügen, die meine Fehler ausmachten und meine Blindheit förderten.
    Ich hatte die eine oder andere Frau gekannt, zumeist Dirnen. Mit einer freien Frau gleichsam im Zustand ungeheiligter Ehe zusammenzuleben, war mir ein Hort von vielerlei Staunen, Verblüffung, Wonne, aber zuweilen auch Erschrekken und Fassungslosigkeit. Es machte mich meinen Eltern gleich und sorgte dafür, daß ich sie gründlich vergaß; diesen Widerspruch habe ich nie auflösen können.
    Venedig, spröde Schöne, ließ sich besser aus der Entfernung bewundern. Lauras Papiermühle lag auf dem Festland, und dort, am Rand von Mestre, verbrachten wir mehr Zeit als in der venezianischen Druckerei. In jeder der Werkstätten gab es einen Handwerksmeister, Angehöriger der jeweiligen Zunft; kaum eine der Zünfte nahm Frauen auf, doch da die Betriebe scheinbar von den Meistern geleitet wurden, hatte es keine Bedeutung.
    Schwieriger war es mit dem Mangel an Segen. Da es überall mißgünstige Nachbarn gibt, Frömmler allenthalben die Mehrheit bilden und Mißgunst durch Frömmelei keineswegs aufgehoben, sondern vielfach vermehrt wird, bedurfte es teils erheiternder, teils lästiger Versteckspielerei, um den Sittenwächtern und der Inquisition zu entgehen. Dies gelang uns, und so verbrachte ich einen Winter und einen Frühling des Rauschs.
    Für Laura wird es keine Berauschung gewesen sein; ich hoffe jedoch, daß sie ein wenig Freude und möglicherweise Genuß empfunden hat. Und daß ihre Äußerungen hierzu der
Wahrheit entsprachen, nicht nur dem Versuch dienten, einen beliebigen kleinen Trottel zu trösten. Frauen ohne Männer sind untragbar, Männer ohne Frauen unerträglich - was ist übler? Ich weiß es nicht, und vermutlich werde ich es nie herausfinden. Ich wäre wohl auch der erste, dem es gelänge.
    Für mich war alles neu - das Land, die Sprache, die Leute, das Essen, die Gepflogenheiten, die Arbeit, die Frau. Laura kannte alles, und sie hatte bereits eine Ehe hinter sich. Es war ihre Arbeit, bei der ich gelegentlich half, in der Papiermühle, beim Zerstampfen und Schöpfen und Legen, ohne darin je mehr als einen Zeitvertreib zu sehen. Ich mußte ja nichts tun, um zu überleben.
    Unweit der Papiermühle und der zugehörigen Werk- und Wohnstätten hatte ich ein kleines Haus mieten können, in dem Avram und ich hausten und Laura oft zu Gast war. Es gab dort einen ummauerten Hof, in dem wir gelegentlich mit Schwertern fochten, rangen oder Steine stemmten, um nicht vor der Zeit Rost und Fett anzusetzen und untauglich zu werden. Abends, wenn Laura bei uns war, griff ich häufig zur Fiedel, Avram trommelte auf dem Tisch oder auf Töpfen, Laura sang dazu und lehrte uns Spottlieder oder derbe Liebesweisen in venezianischem Dialekt.
    Avram langweilte sich ansonsten beflissen, jedenfalls einige Zeit; dann entdeckte er, daß es ihm Freude bereitete, allerlei Arbeiten in der Mühle zu verrichten. Anders als ich hatte er geschickte Hände, und später half er, einen Einfall umzusetzen, der mir kam.
    Vorher half er mir jedoch auch bei anderem, etwa beim Beschaffen und Bereiten von Nahrung oder bei Nebensachen wie dem Überleben in Venedigs Nebengassen. Es gab in der Stadt Gegenden, die man nach Sonnenuntergang nicht aufsuchen sollte, jedenfalls nicht allein und schon gar nicht unbewaffnet.
Natürlich lief niemand mit Bidhänder oder Arkebuse herum; auch Avram und ich hatten uns mit Degen ausgerüstet und verbrachten gelegentlich Stunden damit, uns in ihrem Gebrauch zu üben. Und wenn einer von uns abends etwas zu erledigen hatte, begleitete ihn immer der andere.
    Dies galt auch für jene Abende, an denen Laura mich in dem Palazzo besuchte, den ich für zwei weitere Monate gemietet hatte. Sie kam in einem dunklen Umhang und mit verschleiertem Gesicht. Meistens blieb sie bis zum Morgengrauen, außer wenn sie sehr früh in der Druckerei sein wollte; dann begleiteten Avram und ich sie durch die Nacht.
    Einmal allerdings war er nicht da, als sie früh aufbrechen mußte. Er hatte auch etwas anderes versäumt, nämlich die Beschaffung gewisser Vorräte, darunter Salz und Brot. Laura und ich aßen kalten, ungesalzenen Bratfisch und flüchteten uns zu jenem anderen Hunger, den man auf dem Lager aneinander stillt. Gegen Mitternacht verließen wir das Haus und erreichten unbehelligt den Hintereingang, durch den sie die Werkstatt

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