Die Rache des Kaisers
Rattenaufgabe. Aber ich bin kein guter Lehrer.«
»Lehren kann man wahrscheinlich lernen.«
Avram kicherte in seinen Becher. »Lehren lernen?« Er trank einen großen Schluck. »Gehorsam befehlen? Ist das nicht wie führend folgen? Leuchtende Schatten? Eh, wenn unsere Schattenratte einen Heiligenschein hat, hat der dann auch einen Schatten? Dem sie befehlend gehorcht, den sie lernend belehrt? Oder umgekehrt?«
Vielleicht waren wir an diesem Abend nicht nur deshalb so albern, weil der Wein, wenn er sich mit der Melancholie paart, nur Absurdes zeugen kann, das diese dann gebiert.
Vielleicht lag es aber auch daran, daß wir beide uns verloren fühlten. Allein, ohne Kassems umsichtige Führung und die spöttische Kameradschaft von Jorgo und Karl. Irgendwo habe ich, wenn ich nicht irre, einmal gelesen oder gehört, die Befreiung der Sklaven sei nur für diese schwierig, nicht für die Herren. Die Herren kennen sich mit der Freiheit ebenso aus wie mit dem Zwang, befehlen und entscheiden zu müssen, dem sie gehorchen. Wir waren keine befreiten Sklaven - ich jedenfalls nicht, und auch Avram, wiewohl Kassems Besitz, hatte sich nicht als Sklave gefühlt oder wie ein solcher verhalten.
Was sollten wir nun tun? Avram hatte sich nie über Lebensziele geäußert; wozu denn auch, solange er geleitet wurde? Ich wußte nicht, ob er in den vergangenen Monaten Überlegungen angestellt hatte, seit Kassems Eröffnung, daß er ihn und Jorgo in Venedig aus seiner Obhut entlassen und in die Gewalt der Freiheit geben würde. Aus seiner Obhut verstoßen … Vielleicht kam es ihm nun so vor. In den folgenden Tagen fragte ich mehrmals nach,
aber es gelang mir nicht, Avram zu wesentlichen Reden über ferne Ziele oder die Gründung einer Familie zu verleiten.
Und ich? Sollte ich, geführt und umgeben, nun plötzlich nicht nur mich, sondern auch ihn leiten? Wohin, wie, wozu? Ich hatte meine Rache, wußte jedoch nicht, wie der nächste Schritt aussehen konnte, der mich ihr näher brachte. Ich war Kassem gefolgt und im Bauernkrieg zu Gedanken und Bewegungen gezwungen worden. Ich hatte gelernt, mich den Umständen anzupassen und sie, so gut es ging, für mich zu nutzen; und nun sollte ich die Umstände selbst schaffen, um sie nutzen zu können?
So saß ich da und trank und dachte. Avram hatte den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt und schnarchte. Es klang, als wolle er sich durch den Wald sägen, den ich vor Bäumen nicht sah; aber vielleicht konnte ich die Schneise ja nutzen, die dabei entstand. Ich kam mir gleichzeitig sehr klug und sehr albern vor, und beim letzten Becher beschloß ich, mich für die Zukunft mit alberner Klugheit zu wappnen: mit Ironie, die beides zu sein vorgibt und vielleicht nichts von beidem ist. Sie schafft wahrscheinlich keine Umstände, die man nutzen kann, doch erzeugt sie immerhin Abstand von denen, die nicht nutzbar sind.
Am nächsten Tag begab ich mich zum Fuggerkontor, danach zum Haus der deutschen Kaufleute, Fondache dei Tedeschi. An den Vortagen hatte ich mehrmals kleine Summen bei Geldwechslern getauscht und etwa siebeneinhalb Zechinen für zehn Gulden erhalten. Bei den Fuggern tauschte ich vierhundert Gulden, für die ich dreihundertsechsundvierzig Zechinen bekam, und erkundigte mich nach einem alten Bekannten namens Mazzini oder Messing. Niemand kannte
den Namen, auch nicht die älteren Schreiber. Ebenso war es im Haus der Kaufleute.
Dann beging ich den ersten der beiden Fehler, die ich eingangs erwähnte. Das heißt, eigentlich waren es beide Fehler gleichzeitig, denn sie hingen zusammen. In Verfolgung der Liebe verlor ich den Haß aus den Augen.
Sie hieß Laura Rinaldi und war ein Jahr älter als ich. Ihr Vater hatte in Venedig eine Druckerei betrieben und starb verschuldet, als sie fünfzehn war. Der größte Gläubiger, Herr einer Papiermühle am Stadtrand von Mestre, zahlte der Witwe eine kleine jährliche Rente und übernahm die Schulden, die Druckerei und die Tochter. Er war reich, alt und scheußlich, und dem Vernehmen nach hatte er vernehmlich mit den verbliebenen Zähnen geknirscht, als Laura darauf beharrte, sich nur über den Umweg zum Traualtar in sein Bett zu begeben. Zwiefach kinderlos verwitwet, wollte er mit der Einsegnung warten, bis endlich ein Sohn und Erbe gezeugt wäre. Trotz heftigen Bemühens blieb dieser jedoch weiterhin aus, und auch die Erleichterung über den hurtigen Tod von Lauras Mutter, der er nur zwei Jahresrenten zahlen mußte, vermochte seinen Lebensabend nicht
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