Die Rache des Samurai
stürmische Liebhaber einer Kurtisane wirkte, die jung genug war, seine Tochter zu sein. Er war ein untersetzter, durchschnittlich aussehender Mann mit mißtrauisch blickenden, schmalen Augen und einem dünnlippigen Mund, der tief zwischen den feisten Wangen und dem fleischigen Kinn eingebettet lag. Seine gebräunte Haut und die von der Gartenarbeit schmutzigen Hände verliehen ihm das Aussehen eines Bauern, woran auch sein kahlrasierter Samurai-Scheitel und seine würdevolle Ausstrahlung nichts änderten.
»Mir wurde gesagt, Ihr möchtet O-tama in einer offiziellen Angelegenheit sprechen«, sagte Mimaki ernst und ohne jedes Anzeichen von Eifersucht.
»So ist es.«
»Ihr möchtet mit ihr allein sprechen?«
Sano nickte. »Falls möglich, ja.«
Mimakis Blicke wurden mißtrauisch. Mit einemmal paßte er viel besser in das Bild des Menschen, das Sano zu sehen erwartet hatte: Ein Mann, der viel zu großen Wert auf ein ungestörtes Privatleben legte, als daß er es gern sah, wenn ein Fremder darin eindrang, und der von Eifersucht geradezu zerfressen wurde, wenn es um O-tama ging. Dann aber nickte Mimaki; vermutlich hatte er den Gedanken, Sano könne ein möglicher Rivale sein, als unbegründet abgetan.
»Also gut.« Er wandte sich an die Hausvorsteherin. »Bereite deine Herrin darauf vor, daß ein Besucher zu ihr kommt.«
Die Hausvorsteherin eilte in die Villa. Mimaki und Sano folgten ihr mit langsameren Schritten.
»Ihr dürft unter folgenden Bedingungen mit O-tama sprechen«, sagte Mimaki, als sie über den Flur gingen. »Ihr werdet Euch dem Schirm nicht mehr als zehn Schritte nähern. Solltet Ihr versuchen, den Schirm beiseite zu schieben oder dahinterzutreten, töte ich Euch. Ist das klar?«
Schockiert über diese Drohung, die Mimaki mit unbewegter Miene vorgebracht hatte, konnte Sano nur nicken.
Als sie zu einer Tür gelangten, wurde diese geöffnet, und die Hausvorsteherin kam herausgeschlüpft und verbeugte sich, während Mimaki und sein Besucher an ihr vorübergingen und ein Zimmer betraten, das bis auf einen großen Schirm aus Holz vollkommen leer war. Der Schirm bestand aus einem Gitter winziger, diamantförmiger Facetten, die mit Papier bespannt waren. Durch das Fenster im Zimmer fiel Sonnenlicht und ließ hinter diesem Gitterwerk eine schattenhafte Gestalt erkennen.
Sano kniete auf dem für Besucher bestimmten Platz nieder, während Mimaki hinter dem Schirm verschwand. Eine Zeitlang waren hinter dem durchscheinenden Papier nun zwei schemenhafte Gestalten zu erkennen. Sano hörte, wie geflüsterte Worte gewechselt wurden. Dann erschien Mimaki wieder, und Sano konnte sein Erstaunen nur mit Mühe verbergen. Das Gesicht Mimakis hatte sich so sehr verändert, daß es kaum wiederzuerkennen war. Seine Augen leuchteten, und sein dünnlippiger Mund hatte sich zu einem Lächeln verzogen, das freudig, sinnlich und geheimnisvoll zugleich war. Doch als er sich Sano zuwandte, nahm sein Gesicht wieder einen ernsten Ausdruck an.
»Denkt daran, was ich gesagt habe.« Damit verließ Mimaki das Zimmer.
Sano war nicht wohl bei dem Gedanken, eine Verdächtige zu befragen, die er nicht sehen konnte. Er zögerte, suchte nach Worten. Woher sollte er wissen, ob O-tama die Wahrheit sagte?
Plötzlich drang eine Stimme hinter dem Schirm hervor. »Es ist mir eine Ehre und Freude, Euch kennenzulernen, sōsakan-sama .«
Sie besaß eine der lieblichsten Stimmen, die Sano je gehört hatte. Voll, weich und melodisch, ließ sie eine Saite in seinem Inneren anklingen. Trotz der schwierigen und seltsamen Situation, in der Sano sich befand, mußte er lächeln; selbst die noch frische Erinnerung an Aoi konnte nicht bewirken, daß er dem Charme O-tamas gegenüber unempfänglich blieb. Gewiß hatten viele Männer sich allein in den Klang ihrer Stimme verliebt.
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte Sano aufrichtig.
Ein Hausmädchen erschien und stellte Tee und Plätzchen vor ihn hin. »Macht es Euch bequem«, sagte O-tama. »Und seid nicht böse wegen der strengen Regeln von Mimaki -san . Er wollte Euch nicht beleidigen. Mich zu beschützen geht ihm über alles. Doch ich kann an Eurer Stimme erkennen, daß Ihr ein ehrenhafter und aufrichtiger Mann seid.«
Wenngleich ihre Worte ein wenig kokett waren und Sano sich geschmeichelt fühlte – vermutlich hätten die Worte auf jeden Mann diese Wirkung gehabt –, war O-tamas tiefe Achtung für Mimaki doch unüberhörbar. Mimaki brauchte sich nicht zu sorgen, diese Frau jemals
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