Die Rache des Samurai
zu verlieren; wahrscheinlich hatte er Sano aus diesem Grund das Gespräch erlaubt. Aber weshalb dann der Schirm? Weshalb die Todesdrohung?
»Wenn Ihr heute nicht gekommen wärt, hätte ich Euch hergebeten«, fuhr O-tama fort. »Denn ich habe natürlich von Euren außergewöhnlichen Fähigkeiten gehört. Aber ich habe überdies eine wichtige Information für Euch.«
»Tatsächlich?«
Sano war erstaunt über diesen Empfang, der so ganz anders war als bei den anderen Verdächtigen. Um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen, nahm er die Teeschüssel, trank und ließ O-tama fortfahren.
»Ich liebe die Ruhe und Abgeschiedenheit, und für gewöhnlich schenke ich der Welt draußen keine Beachtung«, sagte O-tama. »Mein lieber Mimaki- san ist mein Leben. Doch ich habe diese schrecklichen Morde mit großer Besorgnis verfolgt. Nach der ersten und zweiten Bluttat keimte eine Ahnung in mir auf, und als dann auch der Mönch dem Mörder zum Opfer fiel, wurde für mich offensichtlich, daß die Morde einem bestimmten Muster folgen. Ich habe Geschichten über Euch gehört, in denen von Eurem großen Mut und Eurer Tüchtigkeit die Rede war. Dennoch habt Ihr den Mörder noch immer nicht gefaßt. Deshalb habe ich beschlossen, selbst das Heft in die Hand zu nehmen und Euch zu sagen, was ich weiß.
Sōsakan-sama , verzeiht mir meine undamenhafte Direktheit. Ich kann Euch nicht sagen, wer der bundori- Mörder ist, doch ich kann Euch sagen, warum er tötet – und weshalb er einer von drei Männern sein muß.«
»Wer sind diese drei Männer?« fragte Sano und mühte sich, seine Erregung nicht zu zeigen. Für eine Mordverdächtige war O-tama äußerst mitteilsam. Wollte sie ihn täuschen, um seinen Verdacht zu zerstreuen? Wenn er sie doch nur sehen könnte!
Er spähte durch den Schirm, konnte aber nur den Umriß ihres Kopfes erkennen; das Haar war hoch aufgesteckt, und ihr zierlicher Körper schien auf einem Stapel Kissen zu sitzen. Vielleicht hatte das Alter Spuren in ihrem Gesicht und an der Figur hinterlassen; vielleicht war ihre Haut faltiger und ihr Haar dünner geworden, doch ihre Stimme verriet, daß sie sich die Frische der Jugend bewahrt hatte. Und die beständige Eifersucht und Besitzgier ihres Mannes ließen darauf schließen, daß sie immer noch schön war.
»Ich bin durch das Band einer gemeinsamen Familiengeschichte mit diesen drei Männern verbunden«, fuhr O-tama fort. »Ich kenne ihre Beweggründe wie niemand sonst. Denn sie sind meine Vettern: Chūgo Gichin, Matsui Minoru, und Yanagisawa Yoshiyasu.« O-tamas singender Tonfall verlieh den Namen einen melodischen Klang. »Habt Ihr schon mit ihnen gesprochen?«
»Das habe ich«, erwiderte Sano wachsam.
»Ihr seid nicht erstaunt. Also vermute ich, daß Ihr meine Vettern bereits verdächtigt. Wie klug von Euch! Doch Ihr habt keinen von ihnen verhaftet. Bedeutet das, Ihr habt keine Beweise gegen sie? Und ist das der Grund für Euer Kommen?«
Die Intelligenz der einstigen yuna stand ihrem Charme in nichts nach. Sano sah keinen Sinn darin, das Offensichtliche zu leugnen oder einen anderen Grund für seinen Besuch vorzuschieben.
»Ja«, gestand er. Nach seinen Erlebnissen mit Chūgo, Matsui und Yanagisawa wußte Sano, wie wenig er erwarten konnte, wenn er eine gezielte Befragung vornahm. Inzwischen waren alle Verdächtigen auf der Hut. Sano beschloß, O-tama die Gesprächsführung zu überlassen und darauf zu hoffen, daß sie selbst irgendeinen Hinweis auf ihre Schuld oder Unschuld gab.
O-tamas perlendes Lachen erweckte Bilder von sinnlicher Ausgelassenheit und fließendem Wasser vor Sanos innerem Auge. »Dann ist es mir die größte Freude, Euch wenigstens einen Teil des Beweises liefern zu können, den Ihr benötigt, um den bundori- Mörder auf den Richtplatz zu bringen. Soll ich anfangen?«
Sano, erschreckt über den seltsamen Kontrast zwischen O-tamas Heiterkeit und ihrem düsteren Versprechen, tat seine Zustimmung durch Schweigen kund.
»Die Morde wurzeln in Ereignissen, die sich vor mehr als hundert Jahren zugetragen haben«, begann O-tama.
Endlich sah Sano seine Theorie bestätigt, wenn auch aus einer fragwürdigen Quelle – einer einstigen Prostituierten, einer Nachfahrin Fujiwaras und Mordverdächtigen. »Ihr meint die Angriffe General Fujiwaras auf die Klans der Araki und Endō«, hakte er nach.
O-tamas Schatten schüttelte den Kopf. »Nein, sōsakan-sama . Ich spreche von dem Mord an Oda Nobunaga.«
Verwirrt entgegnete Sano: »Ich weiß, daß die
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